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Wir wollen Ihre Rezensionen!

Geht Ihnen das auch so auf den Keks? Diese verquasten Journalistenrezensionen? Dieser gequirlte Cineasten-Quark? Müde hocken diese Schreiber mit goldenem Backstagepass im Kino, glotzen pro Tag acht Filme, krickeln hektisch ihre Moleskine-Notizbücher voll und blockieren später das Dunkin Donuts-Internetcafé, um ihre Wortwolken in Richtung Redaktion zu beamen. Ich möchte Filmkritiken aus Zuschauerhand, mit Herz und Liebe. Schicken Sie uns Ihre Rezensionen zu Berlinale-Filmen und wir veröffentlichen sie hier.

Ich freue mich auf Ihre Zuschriften. Bitte an joreine@gmail.com

Ach ja, für die drei schönsten Rezensionen gibt es eine Belohnung…

 

Mal wieder: Berlinale

Und das Erstaunliche: der online-Ticketverkauf funktioniert. Keine Verbindungsabbrüche. Eine schnelle Datenbank. Respekt, das ist das erste Mal in der Geschichte der Berlinale, dass alles gleich reibungslos klappt.

 

Triumph für Coop 99!

Für Außenstehende ist allein die Fülle der heute vergebenen Preise schwer zu durchschauen: Auf der Abschlussgala wurden sieben silberne Bären in verschiedenen Kategorien und als Hauptpreis der goldene Bär für den besten Film vergeben, außerdem zwei Sonderpreise. Mit den Stars und Sternchen der vielen internationalen Filme, die zum Teil erst durch die Berlinale einem breiteren Publikum bekannt wurden, taten sich auch die Profis schwer. Um die Verleihung hautnah zu erleben, habe ich vor dem Berlinale Palast in einer der Fotografen-Boxen Platz gefunden. Direkt neben mir: Ein RTL-Team, das versuchte die Prominenten „mitzunehmen“, und sichtlich bemüht war, den Überblick zu behalten: Der Kameramann konzentrierte sich zuerst auf alle, die in den schicken Phaeton-Limousinen vorfuhren, danach auf alle Frauen in auffälliger Abendgarderobe.

Als erster betrat Berlinale-Direktor Dieter Kosslik den roten Teppich; danach zogen auch allmählich Schauspieler, Regisseure und sonstige prominente Personen an uns vorbei. Als eine der ersten fiel den Fotografen die kleine zierliche und ziemlich leichtbekleidete Regisseurin Pernille Fischer Christensen auf, wie sich allerdings erst später herausstellte. „Wer ist denn das?“ – fragte der Kameramann sein Team. Niemand kannte die Regisseurin, die auf der Berlinale mit ihrem Debütfilm „EN SOAP“ gleich zwei Preise abräumte: den kleinen Bären für den besten Erstlingsfilm und neben dem iranischen Film „OFFSIDE“ den großen Preis der Jury.

Bald füllte sich der rote Teppich mit Stars und mit jedem stieg der Adrenalinspiegel der Kamerateams: „Franka hier-hier! Hier, Franka!“ „Martina! Martina, schau über die Schulter! Über die Schulter! Martina!“„Schööööön ist das!“ „Herr Winterbottom!“ „Herr Röhler!“ „Herr Wenders!“ – jede Bewegung auf dem Teppich wurde hundertfach auf Film festgehalten. Interessant übrigens, dass nur die Frauen beim Vornamen genannt werden…

Die hektischen Rufe der Fotografen ließen zumindest einen absolut kalt: den Schauspieler Jürgen Vogel. Er stieg aus, drehte den Kamerateams den Rücken zu und widmete sich ausführlich seinen Fans hinter den Absperrungen: Zunächst posierte er für das private Fotoarchiv der angereisten Zuschauer, danach verteilte er Autogramme. Den Silbernen Bären für die künstlerische Leistung gönne ich ihm persönlich vom ganzen Herzen! In dem sehr schweren Film „DER FREIE WILLE“ zeigt er uns seine Vielseitigkeit nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Co-Autor und Co-Produzent. Während der Preisverleihung betonte er nochmals, dass dieser Film viel Unterstützung braucht und dass er hofft, den Film durch die Berlinale-Auszeichnung in den deutschen Kinos zeigen zu können.

Ich bin bis zum Schluss geblieben und habe mir die Preisverleihung auf dem großen Bildschirm vor dem Berlinale Palast angeschaut. Leicht enttäuscht aber trotzdem einverstanden bin ich mit der Entscheidung der Juroren, den Goldenen Bären für den Film „GRBAVICA“ von Jasmila Zbanic zu vergeben. Ein großer Erfolg für die Produktionsfirma „Coop 99″, die von den jungen österreichischen Regisseurinnen Barbara Albert, Jessica Hausner und Antonin Svoboda (heute zählt auch Martin Gschlacht dazu) 1999 gegründet wurde! Sie war auf der diesjährigen Berlinale gleich mit zwei Filmen im Wettbewerb vertreten: „SLUMMING“ und „GRBAVICA“. Völlig unerkannt und unscheinbar huschte Barbara Albert an den Fotografen vorbei. Durch ihr unprätentiöses Auftreten fiel sie durch das Beuteschema der Kamerateams.

Der diesjährige Gewinner-Film erzählt eine Mutter-Tochter-Geschichte in Sarajevo. Eines Tages erfährt die 12jährige Sara über die Umstände ihrer Geburt während des Krieges auf dem Balkan. Für sie bricht eine Welt zusammen. Der langsam und rührend erzählte Film enthält zwar für meinen Geschmack einige zu überzogene und theatralische Szenen, die diesem Debüt der Regisseurin Jasmila Zbanic von der Jury aber offenbar verziehen wurden — vielleicht auch wegen der Thematik. Das ergreifende Ende des Films hat aber auch mich begeistert.

Alle Bären auf einen Blick:

– Goldener Bär: „GRBAVICA“ von Jasmila Zbanic

– Großer Preis der Jury – Silberner Bär: „EN SOAP“ („Eine Soap“) von Pernille Fischer Christensen und „OFFSIDE“ von Jafar Panahi

– Silberner Bär für die beste Regie: MICHAEL WINTERBOTTOM und MAT WHITECROSS „THE ROAD TO GUANTANAMO“

– Silberner Bär für die beste Darstellerin: SANDRA HÜLLER in „REQUIEM“ von Hans-Christian Schmid

– Silberner Bär für den besten Darsteller: MORITZ BLEIBTREU in „ELEMENTARTEILCHEN“ von Oskar Roehler

– Silberner Bär für eine künstlerische Leistung: JÜRGEN VOGEL als Schauspieler,- Co-Autor und Co-Produzent des Films „DER FREIE WILLE“ von Matthias Glasner

– Silberner Bär für die beste Filmmusik: PETER KAM für „ISABELLA“ von Pang Ho-Cheung

– Alfred-Bauer-Preis: „EL CUSTODIO“ („Der Schatten“) von Rodrigo Moreno

– Preis bester Erstlingsfilm: „EN SOAP“ („Eine Soap“) von Pernille Fischer Christensen

 

Wenn Sabu kommt

Was die Panorama-Veranstaltungen im Vergleich zum Wettbewerb so attraktiv macht, ist der direkte und persönliche Kontakt zu den Filmemachern. Bei den glamorösen Premieren im Berlinale Palast – wo nur Wettbewerbsfilme gezeigt werden – trifft man mit Sicherheit ein Paar Stars mehr, aber was hat man davon? Sie kommen auf die Bühne, bedanken sich bei den Organisatoren, bekommen Blumen und verschwinden hinter den Kulissen. Das war’s. Langweilig!

Gestern ging ich in die Vorführung des japanischen Films „Shisso“, um mir die angekündigte düstere Geschichte aus der Feder des bekannten japanischen Regisseurs Sabu (Hiroki Tanaka) anzuschauen, der sich bisher mit Komödien einen Namen machte. Der 1964 geborene Japaner begrüßte das Publikum vor dem Film mit folgenden Worten: „Hallo, ich bin DER geniale Regisseur Sabu. Sie sehen gleich mein neues Meisterwerk!“ — „Ich habe eine Tradition“, fuhr er fort, „ich mache mir immer ein Photo von meinem Publikum!“ Daraufhin kehrte er den Kinobesuchern den Rücken zu, drückte dem rot gewordenen Moderator seine Ein-Weg-Kamera in die Hand und … posierte mit einem Victory-Zeichen vor der Kamera. – Jagdszenen aus Japan!

Um es kurz zu machen: So genial wie angekündigt war der Film leider nicht. Der Auftritt des Regisseurs war aber auf jeden Fall sehenswert!

 

Spiel mir ein Lied nach dem Tod

Wieder eine Dorfgeschichte, aber wie anders ist sie!

Der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Requiem“ erzählt die Geschichte von Michaela Klingler, einer jungen Frau, die ihr Pädagogik-Studium in Tübingen antritt und damit erstmals aus der verschlafenen Dorfgemeinschaft ausbricht. Ihr neues Leben genießt sie in vollen Zügen, bald jedoch häufen sich die Epilepsie-Anfälle. Nach langen Krankenhausaufenthalten schien die Krankheit in der behüteten Umgebung ihrer Eltern schon unter Kontrolle zu sein, – der Rückfall trifft sie schwer. In ihrem von tiefer Religiösität geprägten Umfeld hat man die Ursache schnell ausgemacht: Ihr weltlicher Lebenswandel in der Stadt.

1976 starb die 23jährige Anneliese Michel aus Klingenberg am Main an Unterernährung. Nach dem letzten Exorzismus auf deutschem Boden im Auftrag des Würzburger Bischofs wog sie nur noch 31 Kilogramm. Hans-Christian Schmids („Nach 5 im Urwald“, „Crazy“, „Lichter“) Film „Requiem“ ist nach „The Exorcism of Emily Rose“ der zweite Film, der sich mit diesem Fall beschäftigt.

Der Film hat mich sehr berührt. Zunächst fühlte ich mich in meine Studiumsanfangszeit versetzt: wie ein Kind freute ich mich über mein erstes eigenes Zimmer in einem Studentenwohnheim: Tür an Tür mit Hunderten anderer Mädchen. Mein erster Computer, der nur als eine Schreibmaschine gut war. Die Hausarbeiten, die ich erst in durchgearbeiteten Nächten geschrieben habe; Und die Enttäuschung, dass sie doch niemand gelesen hat. Auch das kleinbürgerliche Milieu der Nachkriegsgeneration ihrer Eltern hat der Regisseur sehr gut getroffen.

Der weitere Ablauf der Ereignisse bleibt uns jedoch völlig unverständlich: Michaela entfernt sich vom Zuschauer, was durch die distanzierten Kameraaufnahmen betont wird. Wir verlieren sie. Ein ‚Requiem’ ist für Regisseur Hans-Christian Schmid ein Lied der Gefühlsausbrüche, die er bei dem Zuschauer auslösen will. Man möchte der Protagonistin sagen: „Mensch, kapier doch, das ist nicht so, wie du denkst!“, wie es Schmid in einem Interview ausdrückte. Die Teufelsaustreibung selbst wird in einer Härte gezeigt, dass mir noch einige Zeit nach dem Film schlecht war.

Eine echte Entdeckung: Die Schauspielerin Sandra Hüller. Für ihre Rolle in „Requiem“ wurde sie bereits mit dem Bayerischen Filmpreis 2006 als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet. Hans-Christian Schmid hatte schon einmal das richtige Gespür: In seinem Film „Nach fünf im Urwald“ sahen wir zum ersten Mal die Schauspielerin Franka Potente.

Wie entscheiden sich die Juroren in Berlin? Die Schlussphase eines Wettbewerbs ist immer beinahe quälend spannend – aber nicht mehr lange: Die Auflösung kommt heute! Die Preisverleihung findet um 19 Uhr im Berlinale Palast statt.

Der Kinostart des Films „Requiem“ ist zwei Wochen nach der Berlinale am 2. März 2006.

 

Glauben Sie an die wirkliche Liebe?

Die Regisseurin Valeska Grisebach konfrontiert uns in ihrem Film „Sehnsucht“ (Berlinale Wettbewerb) mit dem Sujet von Romeo und Julia. Sie versetzt die vierhundert Jahre alte Liebesgeschichte von Shakespeare in ein kleines Dorf in der Nähe von Berlin.

Ella (Ilka Welz) und Markus (Andreas Müller) sind unsterblich ineinander verliebt. Ihre Liebe wird allerdings – wie auch bei Romeo und Julia – auf eine Bewährungsprobe gestellt. Diesmal sind es nicht die Eltern, die sich den Verliebten in den Weg stellen: Es ist ein One-Night-Stand. Markus feiert mit seinen Freunden von der freiwilligen Feuerwehr bis zur Bewusstlosigkeit. Am nächsten Morgen wacht er im Bett von Rosa auf, kann er sich aber an den Verlauf des Vorabends nicht mehr erinnern. Obwohl ihn die ungewollte Liebesnacht quält, kann er die Beziehung zu Rosa nicht abbrechen. Wiederholt versucht er, die Affäre zu beenden, verfällt dabei jedoch Rosa immer wieder. Bis Rosa eines Tages bei einem ihrer heimlichen Treffen vom Balkon eines Hotels stürzt. Ob es ein Unfall war, bleibt für den Zuschauer eine ungeklärte Nebensache. Rosa überlebt das Unglück, will ihn aber nicht mehr sehen. Der Vorfall lässt sein Fremdgehen auffliegen, ihn seine Frau verlässt ihn. Markus zerbricht an der Situation und versucht, sich mit einer Schrotflinte das Leben zu nehmen.

„Es waren einmal ein Mann und eine Frau. Die haben sich sehr geliebt…“ – erzählt ein kleines Mädchen die Geschichte von Markus und Ella ihren Freunden am Ende des Films. Sie verrät uns, dass der Markus überlebt hat. – „Mit welcher Frau ist er denn jetzt zusammen?“, fragen die anderen Kinder. Das Mädchen zuckt mit den Schultern: „Hm …“ und schaut in die Kamera: „Ja! Genau!“ – Das Ende der Liebesgeschichte bleibt im Film offen, die Frage wird an die Zuschauer weitergegeben: Wie würde ich die Geschichte beenden? Gibt es denn die wirkliche Liebe? Habe ich nicht auch die Sehsucht, „für immer und ewig“ zu lieben und geliebt zu werden?

Der Titel konfrontiert uns mit einem sehr persönlichen ‚Sehnsucht’-Verständnis der Regisseurin, die sie „als wilde Kraft, die viel über einen Menschen erzählen und gleichzeitig auch eine bittersüße Prise Abschied, Verzicht in sich tragen kann“ empfindet.

Der halbdokumentarische Stil des Films erinnert an den „kleinen deutschen Film“, wie z.B. „Die Halbe Treppe“ von Andreas Dresen. Die Geschichte ist von einer beeindruckenden Spontaneität und Natürlichkeit geprägt. Wortkarg, fast ohne Musik aber mit einer unglaublichen Präzision im emotionalen Detail entwickelt der Film seine eigene ausdrucksvolle Sprache. Die Regisseurin übermittelt ihre Botschaft vor allem durch das nonverbale Interagieren der Figuren. Die vielen ergreifenden Momentaufnahmen, wie z.B. Markus’ selbstvergessener Tanz als Robbie Williams, und die schlichten und unverbrauchten Gesichter der Laienschauspieler verleihen der Geschichte über Elle und Markus einen rührenden Charme.

 

Love und Peace

Ich muss zugeben, dass ich den Abspann von „Elementarteilchen“ verpasst habe: Der nächste Film, der gerade für reichlich Gesprächsstoff in Berlin sorgt, wartete auf mich. „Wuji – The Promise“ gilt als die bislang teuerste Produktion aus China mit einem Budget von 35 Millionen Dollar und wird mit „Hero“ und „Crouching Tiger, Hidden Dragon“ verglichen.

Abgehetzt kam ich im Filmpalast zehn Minuten nach dem offiziellen Filmbeginn an: Und wie gut, dass auch die „Wuji“-Stars mit der Pünktlichkeit nicht so genau nehmen! Also, vorbei an den Hauptdarstellern, – die auch die Kameras der anwesenden Journalisten offenbar in vollen Zügen genossen, – und schnell einen Platz ergattert.

Ich fand den Film großartig! Trotz der späten Stunde und zunehmender Müdigkeit hielten mich die Spannung und die Faszination der Bilder bis zum Schluss fest. Der Schnitt und die Kameraführung sind so akribisch bearbeitet und mit der Musik abgemischt, dass ich Gänsehaut bekam. Ich finde dieses farbenfrohe Märchen in seiner typisch asiatischen Art mit vielen Special Effects, Kostümen und Massenszenen absolut sehenswert. – Die Handlung über Sklaven und Prinzessinnen ist jedoch praktisch zu vernachlässigen.

Am nächsten Tag erzählte ich einem Bekannten von meiner Begeisterung und stieß auf ein: „Brauchst du vielleicht eine Brille? Der Film ist doch total verwackelt und die Keulen sehen sehr nach Plastik aus! Das ist ein absoluter Kitsch!“

Klar, die Effekte können sich nicht mit aktuellen Hollywood-Produktionen messen, die oft das zehnfache Budget haben. Sie wirken oft unrealistisch. Den Filmgenuss stört das bei der ohnehin von der Realität losgelösten Handlung aber wenig.

Wenig überzeugend war allerdings der Auftritt des Regisseurs Chen Kaige („Lebe wohl meine Konkubine“). Er mimte den lässigen Amerikaner („Hi guys“) und langweilte dann das Publikum mit seiner Vision, einen Film der United Nations zu schaffen: In „Wuji“ versammelte er Schauspieler aus Korea, Japan und China. Produziert wurde der Film unter anderem auch in den USA. Im Film ginge es um Liebe und Freiheit. Auch um deren Kombination – Liebe zur Freiheit und Freiheit zu lieben.

Filmschaffende aller Welt: Vereinigt euch. Love and Peace! … Märchenerzähler lieben manchmal einfache Botschaften.

 

Berlinale: Close to Home

Eine Gastrezension von Yvonne Otter

Der Film „Close to Home“ (“Karov la bayit”) zeigt den Alltag von zwei jungen israelischen Soldatinnen bei ihrem Militärdienst in ihrer Heimatstadt Jerusalem. Da gibt es Druck von oben, Auflehnung dagegen, Kuschen aus Bequemlichkeit oder Pflichtbewusstsein und vor allem Durchmogeln, wo es nur geht, wie wohl in jeder Armee. Das Besondere an dem Film sind aber die zwei überzeugenden Schauspielerinnen, die einem sehr unterhaltsam ihrem Alltag vorführen. Eigentlich patroullieren sie durch Jerusalem und kontrollieren Palästinenser, meistens aber beschäftigen sie sich mit dem, was die meisten in ihrem Alter interessiert: Handy, Rauchen, Mode, Jungs. Es kommt auch zu einem Anschlag, dem, wodurch uns hier das Land Israel ständig präsent ist.

Der Film will nichts erklären, er zeigt nur aus der Nähe einen Ausschnitt, wie wir ihn in den Medien nur von fern zu sehen kriegen. Nach dem Film hasst man keine Palästinenser und keine Juden, man kann sich aber das Leben beider viel besser vorstellen.


Karov la bayit
Close to Home

Israel, 2005, 90 min
Regie: Dalia Hager, Vidi Bilu
Darsteller: Smadar Sayar, Naama Schendar, Irit Suki, Katia Zimbris
Sektion: Forum

 

Berlinale: De particulier à particulier

Was für ein im wahrsten Sinne des Wortes phantastischer Film! Das Mittdreißigerpaar Philippe und Marion aus Paris hat seine zwei Kinder zu den Großeltern gegeben und plant eine Reise nach Venedig. Doch auf einem Zubringerbahnhof fällt ihnen die geheimnisvolle Tasche eines Syrers mit einem schwer leserlichen Namensschild („Hotel Harabati?!“) in die Hände, die voller Geld ist. Sie beschließen die Reise nicht zu unternehmen, erzählen aber allen Bekannten und Familienmitgliedern, sie hätten die Reise doch gemacht. So weit, so linear.

Doch dann bricht die Geschichte auseinander. Marion holt Fotos vom Entwickeln ab und stellt fest, dass unter ihre Aufnahmen auch Aufnahmen aus Venedig gemischt sind. Waren sie doch in Venedig? Zur gleichen Zeit glaubt Philippe überall in der Stadt den geheimnisvollen Syrer zu sehen, dem die Tasche gehört.

Es folgt eine schleichende Dekonstruktion der Protagonisten und eine Entfremdung beider voneinander, die dafür sorgt, dass Marion sich mit den gemeinsamen Kindern zu Hause einigelt und Philippe sich mit einem jüdischen Opernsänger anfreundet. Doch plötzlich finden sie wieder zusammen – auf einem mysteriösen Berg. Mehr möchte ich nicht erzählen und mehr muss auch nicht erzählt werden.

Der Film ist ein tragisches und dabei oft berückend komisches Kaleidoskop, das in vielen Farben schimmert. An vielen Stellen bröckeln die Übergänge, wird vorher gezeigtes oder gesagtes revidiert, neu beleuchtet. Handelt es sich bei den Venedig-Fotos um eine schlichte Verwechslung? Schließlich war der Fotoladen ziemlich unordentlich. Ebenso das gefundene Geld in der Tasche, es sieht zunächst beeindruckend aus, entpuppt sich aber später als nahezu wertlos, da es sich um eine inflationäre Währung handelt. Oder die eingebettete Filmszene aus einer TV-Vorabendserie: Marion wird zunächst gezeigt, als sie diese Szene nachvertont (sie ist Synchronsprecherin), was viel Komik hat. Später im Film – als das Paar vorübergehend getrennt lebt – sieht Philippe ebendiese Szene beim abendlichen Herumzappen, hört die Stimme seiner Frau zu dem Gesicht einer amerikanischen C-Movie-Schauspielerin -und fängt an zu weinen.

Gibt es eine Message? Nein, viele. Es wird gezeigt, dass es immer mehrere Wahrheiten gibt. Dass vieles im Leben mehrdeutig ist. Eindrucksvoll wird die Familie als Keimzelle schönster und grausamster Emotionen gezeigt. Es gibt unfassbar schöne, intime Szenen, als die Familie gegen die Außenwelt zusammenrückt. Es gibt die stetig als Basso Continuo mitlaufende Bedrohung durch den zunehmenden Terrorismus (ein visionäres Drehbuch, es entstand deutlich vor dem 11. September 2001). Es geht um das Geheimnis Beziehung und ihren stets möglichen Wandel von Entfremdung zu tiefer Neubindung. Dieser Film hat mich sehr bewegt.

Der Regisseur war anwesend, obwohl es sich um eine Wiederholung handelte – und obwohl es sein 40. Geburtstag war.

 

Elementare Enttäuschung

Kaum ein Film wurde mit so einer Mischung aus Spannung und Skepsis erwartet wie die Verfilmung des Romans „Elementarteilchen“ von Michel Houellebecq. Das Buch sorgte für reichlich Aufsehen, nicht zuletzt wegen seiner drastischen Sprache, ätzenden Gesellschaftskritik und derben Sexszenen. Regisseur Oskar Roehler, der mit Filmen wie „Suck My Dick“ ebenfalls gerne im Fahrwasser der kalkulierten Skandale unterwegs ist, wagte sich an die Umsetzung des schwierigen Buches. Die deutsche Verfilmung des Romans feiert nun bei der diesjährigen Berlinale ihre Weltpremiere.

Zwei Halbbrüder führen ein Leben, wie es unterschiedlicher nicht sein könnte. Brunos Alltag wird von seiner Sexbesessenheit bestimmt. Michael hingegen führt das Leben eines vergeistigten Wissenschaftlers. Körperliche Nähe meidet er. Seine Obsession ist die Erschaffung eines neuen Menschentyps, der sich geschlechtslos durch Klonen fortpflanzt. Im Buch endet die Geschichte tragisch. Roehler macht dagegen aus der bissigen Gesellschaftskritik von Houellebecq einen relativ zahmen Film über Beziehungsprobleme mit Happy End.

Die Besetzungsliste ist ein Who-is-Who des etablierten deutschen Films: Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Corinna Harfouch, Nina Hoss, Franka Potente, Uwe Ochsenknecht, Jasmin Tabatabai, Christian Ulmen und Herbert Knaup. Kann das den Film retten? – Nein! Das Buch schreit jedoch nach einer unkonventionelleren Verfilmung: Michael Hanecke hat mit seiner „Klavierspielerin“ ein ebenfalls sehr kontroverses Buch überzeugend umgesetzt und gezeigt, dass ein Film an einer schwierigen Vorlage nicht scheitern muss!

Wer möchte, kann den Film ab dem 23. Februar in den deutschen Kinos sehen. Und anschließend vom Buch positiv überrascht sein!