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Kammermusiksaal – du kannst mich mal

 

Gestern also mit der Liebsten im Kammermusiksaal der Philharmonie gewesen, den großen russischen Pianisten Alexander Malter bei einem Klavierkonzert hören. Das Programm klang nicht besonders originell, aber verlockend: Nebst anderen Stücken würde es J.S. Bachs Präludium und Fuge b-Moll BWV 867, zwei Schubert Impromptus, sowie das unmenschlich schwere Präludium d-Moll op. 28 Nr. 24 von Chopin zu hören geben.

Nun wird ja gebetsmühlenartig die grandiose Akustik der Konzertsäle in der Philharmonie beschworen. Da muss ich mich jetzt mal hinstellen und sagen: Das stimmt einfach nicht. Der Kammermusiksaal verhindert meiner Meinung nach den Kunstgenuss, und das aus mehreren Gründen: Zum einen helfen selbst die zahlreichen Deckendiffusoren nicht darüber hinweg, dass der Kammermusiksaal, wenn er nicht bis auf den allerletzten Platz ausgebucht ist, spitz und sehr obertonreich klingt und außerdem einen für Kammermusik deutlich zu langen Nachhall hat. Wenn ein Kammermusikensemble mit Streichern dabei ist, mag es gehen – ein Klavier-Solo-Konzert dort zu hören ist sicherlich nicht der Hit.

Ein viel größeres Problem ist aber die generelle Versuchsanordnung. Man schaue sich hier mal die Bühne an, dann erkennt man das Problem schnell: Die hexagonale Bühne liegt gewissermaßen als Talkessel da und ist mit aufsteigenden Sitzrängen umbaut. Wir haben also keine klassische, erhöhte Bühne mit längs gestrecktem Zuschauerraum, sondern einen Raum, in dem jeder einen guten Blick auf die Bühne hat. Für den Zuschauer ist das zunächst mal angenehm; selbst auf den billigsten Plätzen hat man eine gute Sicht. Nun aber das Problem: Der Saal ist dermaßen hellhörig, dass man an buchstäblich jedem Sitzplatz jedes noch so leise Husten, Räuspern, Bonbonpapierauswickeln, Schnaufen, Ächzen, und Schnarchen seiner lieben Mitmenschen hört. Teuflischerweise spitzt sich dieses Phänomen zu, je näher man an die Bühne heranrückt. Mit der Folge, dass der arme Pianist vermutlich am meisten von diesem akustischen Unrat mitbekommt. Der Hörsaalartige Aufbau des Ganzen sorgt dafür, dass Bühne und Zuschauerränge akustisch völlig gleichberechtigt sind. Man hört alles überall. Bei dem dauererkälteten Berliner Publikum ist das ein echtes Problem.

Gestern war es wirklich so, dass das allgemeine Gehuste, Geräuspere und Programmheftumgeblättere die Performance empfindlich störte. Der Pianist war und blieb die Ruhe selbst und spielte ein Konzert erster Güte. Alexander Malter ist ein begnadeter Pianist, mit einem warmen, tupfigen Anschlag, es gelangen während der Schubert-Impromptus magische Momente, in denen völlige Versunkenheit und organisches Miterleben der Musik möglich war – bis der bellender Husten eines mir auf der anderen Saalseite gegenübersitzenden Mannes alles kaputt machte. Nachgerade trotzig ignorierte Malter das Problem und blickte mehrmals gen Himmel, als käme von dort Hilfe, es kam aber keine.

Was mich auch interessieren würde – ich weiß ja nicht, ob Musiker hier mitlesen – stört es als Vortragender nicht ungemein, wenn man einem von allen Seiten auf die Finger kuckt? Bei Rock/Pop/Jazz stelle ich mir so eine Atmosphäre schön vor, aber in der klassischen Musik könnte ich mir vorstellen, dass der klassische „Frontalunterricht“ für Musiker – und letztlich auch Zuhörer – Vorteile hat.