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Landpartie (2)

 

Gestern erzählte ich vom Verhältnis der Berliner zu ihrem Umland. Das war ein kleiner Prolog, eigentlich wollte ich über meine Wochenenderlebnisse schreiben. Am Sonnabend war es nämlich für mich mal wieder so weit. Ich bin mitsamt meinem Fahrrad in einen der roten Züge gestiegen, die die Hauptstadt mit jwd („janz weit draußen“) verbinden. Normalerweise bricht man beim ersten Krähen des Hahnes ins Umland auf (obwohl: die dürfen im Moment ja eh nur drinnen krähen). Ich habe es diesmal ganz anders gemacht. Erst spät am Abend bin ich aufgebrochen. Die Umlandbevölkerung war gerade auf dem Weg in die Berliner Großraumdiskos und Multiplexkinos, um ein bisschen Hauptstadtflair zu erleben. Ich war auf dem Weg nach Werder an der Havel. Gute Freunde aus Berlin feierten dort eine Party.

Werder an der Havel empfing mich ziemlich dunkel und schweigend. Ich radelte auf einer langen geraden Straße durch den Ort, die von bescheidenen Einzelhäusern gesäumt war. Überall heruntergelassene Rollläden, schummerige Straßenbeleuchtung. Ich kam an einer kleinen Kneipe vorbei und an einem kleinen Kino. Sahen beide ganz manierlich aus. In Berlin hätte ich sie wahrscheinlich sofort inspiziert und am nächsten Tag als Geheimtipp weiterempfohlen. So fuhr ich einfach dran vorbei. Geheimtipps aus Werder will keiner haben.

Die Party war in einer Feriensiedlung außerhalb der Stadt. Die Freunde waren mit zwei VW-Bussen angerückt und hatten alles mitgebracht. Darum gab es auch dieselben Drinks wie immer, aus den Lautsprechern tönte dieselbe Musik, und weil wir alle nur Menschen aus Berlin kennen, waren auch dieselben Leute da. Wenn Berlin eine Insel ist, dann saßen wir jetzt auf einem Floß.

Im Bungalow nebenan feierten Leute aus der Gegend. Ihre Musik war lauter als unsere, sie tranken mehr als wir und es war dort ein ständiges Kommen und Gehen. Obwohl sie ganz nett wirkten, gab es keinen Kontakt zwischen unseren Gruppen. Wir haben irgendwann die Rollläden runtergelassen und unsere Musik etwas lauter gemacht. Die anderen haben wir kaum noch gehört. Wir hatten uns eine richtig kuschelige Hauptstadtblase eingerichtet. Warum wir aufs Land gefahren waren, wusste am nächsten Morgen niemand mehr. Den
Rest des Herbstes werde ich wohl in Berlin verbringen.

Falko Müller