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Sparen – ausgerechnet bei behinderten Kindern?

 

Mit großer Besorgnis haben die Eltern autistischer Kinder einen Brief der „Schule am Friedrichshain“ und der Comeniusschule zur Kenntnis genommen, in dem starke Kürzungen der Schulhelferstunden für das kommende Schuljahr angekündigt werden.

Autistische Kinder werden in Berlin in den unterschiedlichsten Schulformen beschult. Es gibt Schulhortprojekte, in denen ausschließlich Autisten aufgenommen werden, aber dort sind nur sehr wenige Plätze vorhanden. Alle anderen Kinder werden entsprechend der großen Bandbreite, die die Diagnose „Autismus“ umfasst, an allen anderen Schulformen beschult: von der normalen Grundschule über Schulen für Körperbehinderte bis zu Schulen für geistig Behinderte. In diesen nicht auf Autismus spezialisierten Schulen können die Kinder oft nur dann lernen und betreut werden, wenn sie Unterstützung durch einen sogenannten Schulhelfer bekommen.

Dieses System hat gut funktioniert, solange genügend Schulhelferstunden bewilligt wurden. Im November 2007 hatte Bildungsstaatssekretär Eckart Schlemm in einer Antwort auf eine „Kleine Anfrage“ Kürzungen noch klar und deutlich ausgeschlossen, doch schon zum Halbjahreswechsel hat es an den Sonderschulen erhebliche Kürzungen und sogar Streichungen ganzer Schulhelferstellen gegeben. Diese Maßnahmen sollen laut Senatsschulverwaltung zum Schuljahr 2008/2009 sogar noch drastisch ausgeweitet werden. Und nicht nur das: der Senat plant außerdem, die Schulhelfer der Sonderschulen nicht mehr über die Senatsschulverwaltung zu betreuen, sondern sie als Teil der Eingliederungshilfe an das Jugendamt zu delegieren. Beide dieser Entwicklungen sehen die Eltern mit größter Sorge, gar Verzweiflung.

Momentan gibt es in Berlin 170 Schulhelfer für autistische Kinder. Die betroffenen Kinder werden teilweise jetzt schon nicht in vollem Umfang ihres Rechtsanspruches beschult, weil das Kontingent der Schulhelferstunden nicht ausreicht. Es herrscht also im aktuellen Schuljahr schon eine Unterversorgung, nun sollen die Schulhelfer an Sonderschulen womöglich ganz gestrichen werden.

Die Senatsschulverwaltung beruft sich darauf, dass die Schulhelfer ursprünglich als Integrationshelfer gedacht waren: also behinderten Kindern eine Beschulung in einer Regelschule ermöglichen sollten. Schulhelfer seien für Sonderschulen ursprünglich gar nicht vorgesehen gewesen. Als die Sonderschulen aber kein ausreichendes Personal hatten, um autistische Kinder zu beschulen, wurde die Schulhelfer-Regelung auf Sonderschulen ausgeweitet. Die Senatsverwaltung möchte nun diesen Schritt rückgängig machen, um wieder mehr Geld für die Integrationshelfer in den Regelschulen zur Verfügung zu haben: zu Lasten der schwerer beeinträchtigten Kinder, die nicht integrativ beschult werden können, und die in den Sonderschulen dringend einen Schulhelfer brauchen.

Tragisch wird die Lage zusätzlich dadurch, dass die Kinder ohne Schulhelfer die Sonderschulen gar nicht besuchen können. Sollten weitere Kürzungen oder gar Streichungen erfolgen, würde dies für mindestens einen Elternteil – in den meisten Fällen sind hier Mütter betroffen – bedeuten, dass sie nicht mehr genügend Zeit haben, den Lebensunterhalt zu verdienen. Ein Abrutschen in die Arbeitslosigkeit wäre eine weitere Ausgrenzung aus der Gesellschaft.

Um den betroffenen Kindern weiterhin den Schulbesuch zu ermöglichen, möchte die Senatsschulverwaltung nun Personal aus dem Stellenpool des Senates an die Sonderschulen schicken. Im Stellenpool befinden sich Senatsangestellte, die ihren regulären Arbeitsplatz verloren haben. Diese Menschen sind im Umgang mit behinderten Kindern nicht geschult, geschweige denn kennen sie die relevanten Therapie- und Lehransätze für autistische Kinder. Die Schulhelfer sind ein über Jahre hinweg qualifiziertes Personal und somit eine hochwertige Ressource, die man nicht einfach ersetzen kann. Gerade autistische Kinder können nicht leicht ein vertrauensvolles Verhältnis zu fremden Personen aufbauen, und es ist oft gar nicht leicht, überhaupt Menschen zu finden, die sich zutrauen, mit den Kindern zu arbeiten. Schon alleine körperlich ist diese Aufgabe für viele Menschen nicht zu bewältigen. Wie man also die qualifizierten Personen ersetzen will, die diese schwierige Aufgabe in gutem Kontakt zu den Kindern momentan erfüllen, bleibt unklar. Selbst woher aus dem Stellenpool 170 Angestellte kommen sollen, ist fraglich: kürzlich gelang es nicht einmal, zwei Telefonistinnenstellen aus dem Stellenpool zu besetzen; sie mussten schließlich öffentlich ausgeschrieben werden. Erfahrungen mit Mitarbeitern aus dem Stellenpool, die in den vergangenen Monaten schon an die Sonderschulen geschickt wurden, sind durchgehend negativ, aber trotzdem möchte der Senat diese Umstrukturierung beschließen.

Eine weitere Maßnahme sieht die Übertragung der Zuständigkeit für die Schulhelfer (oder wie immer diese Personen an den Sonderschulen dann heißen) von der Schulverwaltung an die Eingliederungshilfe vor, die dem Jugendamt untersteht. Die Schulverwaltung versucht also, ihren Bildungsauftrag bei behinderten Kindern an das Jugendamt abzuschieben, um damit Kosten im eigenen Ressort zu sparen und für Regelschulen erhältlich zu machen. Da der Haushalt für die nächsten zwei Jahre schon verabschiedet ist, stehen dem Jugendamt für diese neue Zuständigkeit allerdings gar keine Mittel zur Verfügung.

Problematisch wird es aber auch besonders für die Eltern, wenn sie nun auch in Schulfragen mit dem fachfremden Jugendamt kommunizieren müssten. Schon die Tatsache, dass die Eingliederungshilfe in Berlin beim Jugendamt angesiedelt ist – in anderen Bundesländern wird dies anders gehandhabt – ist für die Eltern ein ständiges Problem. Dass nun auch Bildungsfragen über das Jugendamt laufen sollen, empfinden die Eltern als höchst diskrimierend. Seit dem Jahr 2005 stuft das Jugendamt in der Zahlung der „Hilfe zur Pflege“ die Sonderschulen schon nicht mehr als Bildungs- sondern als teilstationäre Einrichtung ein, um mit dieser Begründung die Leistungen der „Hilfe zur Pflege“ zu kürzen. Eine Schule statt als Bildungseinrichtung als „teilstationäre Unterbringung“ zu bewerten, stellte nicht nur finanziell, sondern auch psychologisch einen tiefen Einschnitt für die Eltern dar.

Sollten jetzt auch noch die Schulhelfer nicht mehr als Bestandteil der Bildung angesehen werden, verabschiedet sich Berlin endgültig vom Glauben an die Förderungswürdigkeit dieser Kinder und kehrt in düsterste DDR-Traditionen zurück, als diese Kinder als „schulbildungsunfähig“ galten und im Rahmen der Rehabilitationspädagogik in „Fördereinrichtungen für Schulbildungsunfähige“ verbannt wurden: es bestand keine „Förderungspflicht“ (vergleichbar mit unserer Schulpflicht). Im Grundgesetz aber ist verankert, dass alle Menschen gleiche Rechte haben: den behinderten Kindern steht eine Ausbildung zu wie jedem anderen Kind auch. Die Beschulung ist Sache und Zuständigkeit der Senatsschulverwaltung, nichts des Jugendamtes. Das gilt auch für behinderte Kinder.

Die Eltern haben sich zu einer Protestgruppe zusammengefunden, um sich für die Rechte ihrer Kinder einzusetzen.

Der Senat will die Kürzungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen noch vor den Osterferien beschließen. Für die Osterferien wurden im Übrigen an den Sonderschulen die dringend benötigten Helfer für die Ferienbetreuung auch schon gestrichen.

Link zur Protest-Website der Berliner Elterngruppe autistischer Kinder