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Nach dem Iran-Dossier: Jetzt ist Europa am Zug

 

„Ihr Deutschen würdet sagen, das war eine schwere Geburt.“ Zehn Monate, berichtet Ray McGovern, habe die Schwangerschaft gedauert. Und am Ende sei ein „Wunder“ herausgekommen: „Ein ehrlicher nationaler Geheimdienstbericht über Irans Atomprogramm.“

McGovern kann es noch kaum glauben. 27 Jahre lang gehörte er der CIA an. Während dieser Zeit briefte er regelmäßig Präsident Bush senior im Weißen Haus über die neuesten Erkenntnisse der US-Geheimdienste. „Während meiner Dienstjahre konnten wir immer frei reden“, sagt McGovern. Dann jedoch, unter Bush dem Jüngeren, habe sich der Informationsfluss auf fatale Weise umgekehrt. „Bushs erster Schritt war die Entscheidung, in den Irak einzumarschieren. Als zweiter sollte die CIA die Geheimdienstinformationen zusammenkochen, die dies rechtfertigten.“ Das Resultat ist bekannt.

Nach seiner Pensionierung gründete McGovern zusammen mit anderen Ex-CIA-Beamten eine Interessengruppe für „Aufrichtigkeit“ in der Geheimdienstbranche. Seitdem ist er nicht müde geworden, den Missbrauch der amerikanischen Nachrichtendienste durch die neokonservativen Falken im Weißen Haus anzuprangern. Und nun auf einmal das: ein CIA-Dossier, das davon spricht, Iran habe schon im Herbst 2003 sein Atomwaffenprogramm auf Eis gelegt. „Offenbar“, frohlockt McGovern, „wird von den Kollegen nicht länger erwartet, dass sie weltbildgerechte Informationen liefern – von der Art, wie sie uns am ersten Oktober 2001 einen Geheimdienstbericht mit dem Titel Iraks fortgesetztes Massenvernichtungswaffenprogramm einbrachten, den schlimmsten in der Geschichte der US-Nachrichtendienste.“

In der Tat, das neue National Intelligence Estimate (NIE) über den Iran klingt ganz so, als hätten sich Amerikas Geheimdienstler von der Schmach emanzipiert, die vor und nach dem Irakkrieg 2003 über sie hereinbrach. Vor dem Krieg pressten Scharfmacher wie Wolfowitz und Cheney die Agency, gefälligst passende Beweise zu liefern für Saddam Hussein Schreckensarsenale. Schließlich könne man, wie Donald Rumsfeld predigte, von der Tatsache, dass es bisher keine Beweise für eine Bedrohung gebe, nicht schließen, dass es keine Bedrohung gebe. Nach dem Krieg schob die öffentliche Meinung die Blamage der nie aufgetauchten Massenvernichtungswaffen der CIA in die Schuhe. Zwar hatte die CIA gegenüber der Bush-Regierung nie von einer unmittelbaren Bedrohung durch Saddams ABC-Waffen gesprochen. Trotzdem hielt nach dem Krieg ihr damaliger Direktor George Tenet als Sündenbock für das ganze Debakel her, konkret dafür, dass eine nachweisliche falsche Informationen über angebliche Uran-Importe des Irak in einer Rede des Präsidenten gelandet war. Im Sommer 2004 trat er zurück.
In Wahrheit hatten die übelsten Übertreibungen über den Irak damals ein kleines, geheimes Pentagon-Büro mit dem Namen „Office of Special Plans“ zusammengezimmert. Dessen Brandpapiere wurden vorbei am CIA-Apparat direkt ins Oval Office geschleust. Als „Stovepiping“, Ofenrohrprinzip, ist diese Methode später bekannt geworden.

Als wäre all dies nicht passiert, schelten außenpolitischen Hardliner die CIA bis heute als Versammlung schlapper Hüte. Sie habe schon zu Zeiten der Sowjetunion amateurhaft untertrieben, zur Zeit des Irakkriegs, und genau das tue sie nun gegenüber dem Iran. Dieser ganze Laden in Langley sei doch „eine betäubende, jede Fantasie erstickende Bürokratie“, erregt sich Reuel Marc Gerecht, ehemals Analytiker in der Mittelost-Abteilung der CIA, und heute einer der lautesten Meinungsmacher in der Denkstube der Neokonservativen, dem American Enterprise Institute.

Am Tag des Erscheinens des neuen Iran-Dossiers sitzt Gerecht auf einem Diskussionspodium in Brüssel – laut Programm, um darüber zu reden, wie dem Iran am besten Contra zu bieten sei. Stattdessen nutzt er die Gelegenheit, seinen Ex-Arbeitgeber niederzumachen. „Wir wissen doch alle, wie solche NIEs zustanden kommen“, ereifert sich Gerecht, „die nehmen ein paar offene Informationen, rühren Berichte der UN dazu und“ – er reckt den Zeigefinger – „sie befragen den Zeitgeist! Und der sagt nun mal: Bloß nichts sagen, was einen Militärschlag gegen Iran das Wort reden könnte!“ Handwerklich näher kommentieren wolle er die jüngsten Ergüsse der CIA zwar nicht. „Aber eines kann ich Ihnen sagen: Die haben keinen einzigen Insider-Informanten in Teheran. Wenn sie sagen müssen, ,zwischen 2010 und 2015’ könnte Iran die Bombe bekommen, dann heißt das im Grunde: Wir wissen nicht viel.“ Wenn dieses NIE von George Bush ernst genommen werde, werde es großen Schaden anrichten, prophezeit Gerecht. Weil es für Jahre den Druck von Teheran nehmen könne. Weil die Mullahs dann die „deutsche Karte“ spielen würden, sprich: sich auf allenfalls windelweiche Sanktionen einrichteten.

Eine wichtige Frage ist freilich, ob Präsident Bush von einem für seine Außenpolitik derart wesentlichen Dokument tatsächlich so überrascht war wie er tat. National Intelligence Estimates gehören zu den am aufwändigsten und sorgfältigsten hergestellten Papieren, die die US-Regierung produzieren lässt. Ihre politische Wucht ist so groß, dass vor dem Irakkrieg Vizepräsident Dick Cheney persönlich hinaus ins CIA-Hauptquartier fuhr, um sich über den Fortgang der Arbeit zu informieren, wie der Ex-CIA-Mann Ray McGovern berichtet. „Das war ein nie da gewesener Vorgang, der enormen Druck auf die Mitarbeiter ausübte“, sagt McGovern. „Nach Langley zu kommen, ist ein offensiver Protokollbruch.“

Schwer zu glauben, dass derselbe Vizepräsident in den vergangenen Monaten kein Interesse daran gehabt haben soll, welche Erkenntnisse Amerikas Spione über den Hauptfeind Iran ausbrüten. „Ich weiß nicht, wie oft Cheney in den letzten Monaten das CIA-Hauptquartier besucht hat“, sagt McGovern, „aber mir wurde berichtet, wie missvergnügt er gewesen sei, als er Anfang des Jahres einen ersten Entwurf des Bericht gesehen habe.“

Warum das ganze für Europa wichtig ist? Weil die CIA mit ihrer Analyse den Europäern gleichsam den Ball zuspielt. Irans Präsident Achmadinedschad, sagen sie, sei durchaus ein rationaler Akteur. Einer, der sehr wohl nüchtern abwäge zwischen Wohl und Wehe, zwischen der Peitsche der Sanktionen und dem Zuckerbrot internationaler Integration. Wenn das so ist, dann kommt es gegenüber dem Mullah-Regime mehr denn je auf geschickte Diplomatie an. Nach dem neuesten NIE wird George Bush einen Militärschlag gegen den Iran kaum noch rechtfertigen können, Iran taugt nicht mehr als Schreckgespenst. Und doch, die Gefahr einer iranischen Bombe besteht langfristig fort. Die Last der Aufgabe, sie zu verhindern, wiegt seit dieser Woche schwerer auf Europa als zuvor.

Ihrer Verantwortung könnte die EU jetzt vor allem durch zweierlei gerecht werden. Erstens, indem sie beim Drängen nach Sanktionen gegenüber China nicht nachlässt. Zweitens, indem sie Russland davon überzeugt, dass eine internationale Uran-Anreicherungsanlage außerhalb Irans sowohl in Moskaus sicherheitspolitischem wie wirtschaftlichen Interesse liegt. Bloß – Putin scheint partout nicht auf Angebote europäischer Herkunft eingehen zu wollen. Womöglich, weil er einfach fürchtet, dadurch im Inneren als Schwächling zu gelten.