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Die unerträgliche Leichtigkeit des EU-Parlamentarierdaseins

 

Man kann Elmar Broks Vorschlag zum Olympiastreit abwegig finden, aber er ist wenigstens handfest. Der Europaabgeordnete und außenpolitische Koordinator der Europäischen Volkspartei (EVP) fordert angesichts der “besorgniserregenden Situation in Tibet und angrenzenden chinesischen Provinzen”, die Olympischen Spiele in Zukunft nur noch in ihrem Mutterland Griechenland abzuhalten.

Seit 1936, so erinnert der CDU-Mann Brok, würden die Spiele immer wieder zu propagandistischen Zwecken missbraucht. “Damit wäre dann ein für allemal Schluss.”

Über Broks Initiative hinaus enthielt die heutige Debatte im Europäischen Parlament über die Lage in Tibet zwar eine Menge weiteren Klartext. Doch mit welcher Wirkung?

„Es ist eine Tatsache, dass China beim Minderheitenschutz und bei den Menschenrechten internationalen Standards nicht genügt”, sagte der EVP-(CDU)-Abgeordnete Thomas Mann. “Daran hat leider auch die Vergabe der Olympischen Spiele nach Peking, anders als ursprünglich beabsichtigt, nichts geändert.“

Was in Tibet geschehe, sei “kultureller Genozid”, so Mann.

„Wir haben deshalb die EU-Kommission in einem ersten Schritt ersucht, eine internationale Beobachtermission nach Tibet zu entsenden. Für den Fall, dass die Zentralregierung in Peking nicht nachgibt, sollten alle weiteren Möglichkeiten geprüft werden, angefangen von Protesten im Rahmen der Olympiade bis hin zu politischen und wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen als letztem Mittel.“

Die Grünen schlugen vor, darüber nachzudenken, dass an der Eröffnungsfeier der Spiele weder europäische Staatschefs noch Athleten oder Journalisten teilnehmen sollten.
Die Europäische Union sollte gar einen Boykott der Olympischen Spiele nicht ausschließen, sagt der SPD-Politiker Jo Leinen.

Das mag ja alles aufrechte Empörung sein. Aber wie kommt es bloß, dass diese spitzen Töne aus Brüssel zugleich etwas wohlfeil wirken? Dass die Politiker hier auf viel entschlossenere Weise nach Boykott und Sanktionen rufen als ihre Parteigenossen in den nationalen Parlamenten oder Regierungen?

Die Antwort ist ein bisschen traurig: Es liegt wahrscheinlich auch daran, dass die Europaparlamentarier wissen, dass ihre Forderungen ohnehin niemand richtig ernst nimmt. Das Europäische Parlament ist nicht in der Lage, Druck auf irgendeine Regierung auszuüben, denn keine Regierung ist von seiner Unterstützung abhängig.

Sicher, die Europaparlamentarier können an die EU-Kommission appellieren und auf ihren Kurs Einfluss nehmen (was viele EP-Abgeordnete mit großem Sachverstand tun). Aber die Kommission selbst ist eine Behörde, deren Betrieb von Beschlüssen der europäischen Regierungen vorgezeichnet wird.

So verwundert es kaum, wenn dort, eine Etage höher in der europäischen Verantwortung, der Kommissionspräsident José Manuel Barroso schon viel mildere Töne anstimmt. Die Olympischen Spiele seien keine politische Veranstaltung, sagte er, deshalb unterstütze er auch die Idee eines Boykotts nicht. (Eine gewagte logische Trennung, nebenbei bemerkt. Denn so betrachtet, dürften die Spiele auch dann stattfinden, wenn Chinas Soldaten in Tibet ein zweites Tiananmen-Massaker anrichten würden.)

Das Europäische Parlament hat es so leicht, als moralisches Schwergewicht aufzutreten, weil es politisch de facto machtlos ist. Es ist die Soft Power der Soft Power, und dieses personifizierte Gewissen Europas ist deshalb so rein, weil es sich mit Taten gar nicht erst belasten kann.

Das nimmt der Erregung der Europa-Politiker nicht die Ehrlichkeit. Aber unehrlich ist es auch nicht zu sagen, dass der Wortdampf aus Brüssel doch sehr an ein Parfüm erinnert. Schön ist er, aber ätherisch.