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Stärkt der Lissabon-Vertrag Europa wirklich als Global Player?

 

Teil IV des Lissabon Watch

Mit dem Lissabon-Vertrag, so das politische Versprechen, soll Europa in der Welt mehr Gewicht und Gesicht bekommen. Dies soll vor allem durch zwei neue Superposten geschehen. Durch den Europäischen Präsidenten, der künftig der EU für zweieinhalb Jahre vorsitzen wird. Und doch einen „Europäischen Außenminister“.

Werden die beiden aber wirklich so mächtig, wie sie glauben? Eher nicht.

Der Europäische Präsident soll laut Lissabon-Vertrag dem Rat „Impulse“ geben, für „Kontinuität“ sorgen sowie „auf seiner Ebene und in seiner Eigenschaft die Außenvertretung der Union in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ wahrnehmen. Womit sich seine Jobbeschreibung schon einmal ungut mit der des „Europäischen Außenministers“ reibt.

Vor allem wird der neue Ratspräsident künftig, anders als bisher, nicht zugleich ein Staatschef sein. Das heißt, er ist keiner nationalen Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig. Kein Abgeordnetenhaus, ja nicht einmal das Europäische Parlament kann ihn für Schlechtleistung oder Fehler zur Verantwortung ziehen.

Bisher konnten Regierungschef ihre jeweils halbjährigen Ratspräsidentschaften in Brüssel nutzen, um sich außenpolitisch zu profilieren, so wie es etwa Angela Merkel getan hat, indem sie den Lissabon-Vertrag trotz mancher Affekte der polnischen Regierung zur Unterschriftsreife verhandelte. Und so actionreich wie es Europa gerade von Nicolas Sarkozy erwartet, dem letzten „kurzen“ Ratspräsidenten.

Von welcher Motivation wird dagegen der künftige EU-Präsident getrieben sein? Von den 27 Staatschefs auf zweieinhalb Jahre gewählt, ist er ein König Ohneland. Er verfügt über keinerlei Hausmacht und keine politische Verhandlungsmasse, um seine Ideen voranzutreiben.

Deutschland dagegen hat mithilfe seines gewaltigen Beamtenapparats in Brüssel und Berlin während seiner Ratspräsidentschaft erstaunliche viele Projekte abschließen können, zum Teil solche, die schon lange liegen geblieben waren. Slowenien, das seine Beamtenschaft mit der Präsidentschaft überdehnte, schaffte lange nicht so viel.

Wieviel politische Pferdestärken hätte wohl ein Ratspräsident ganz ohne eigenen Regierungsapparat?

Und wie realistisch ist es zu glauben, dass sich die Staatschefs im Rat den Weisungen eines Präsidenten ohne Unterleib unterordnen werden? Ein Nicolas Sarkozy beispielsweise ist kaum der Typ, der sich von einem Behördenhäuptling einhegen lassen würde. Im Gegenteil, der künftige Ratspräsident könnte sich seinerseits schnell von Allianzen einflussreicher Länderchefs umzingelt sehen. Mancher Nationalstaat könnte sogar ein Interesse an einem möglichst schwachen Ratspräsidenten haben. Denn wer lässt sich schon gerne auf der Brüsseler Bühne die Show stehlen?

Hinzu kommt, dass die bisherigen halbjährlichen Rotationspräsidentschaften nicht etwa abgeschafft werden. Sie laufen – mit Zuständigkeit für die Fachministerräte – weiter. Das heißt, der jeweilige Staats- oder Regierungschef des halbjährlichen Präsidentschaft bestimmt, welche Themen auf die Tagesordnungen für die Brüsseler Treffen der 27 Wirtschafts-, Justiz- oder Außenminister kommen. Ob der (Rotations-)Ratspräsident daneben noch eine repräsentative Rolle spielen soll und wie sich seine Kompetenzen mit den denen des ständigen EU-Präsidenten vertragen werden, ist noch ungeklärt.

Der tschechische Premier Mirek Topolánek hat bereits klargestellt, dass es als „Demütigung“ empfinden wenn, wenn er die Vorstellung seines Programms im Januar 2009 dem neuen ständigen EU-Präsidenten überlassen müsse, berichtete vor Kurzem das Handelsblatt.

Die institutionelle Eindeutigkeit, die die EU nach Innen und Außen erreichen wollte, schafft der Lissabonvertrag jedenfalls nicht. „Die Strukur wird deutlich komplexer“, sagt die EU-Expertin Sarah Seeger vom Müncher CAP.

Wie also kann die Rolle des EU-Präsidenten in Europa die Rolle Europas in der Welt stärken?

Verglichen mit dem innerdeutschen Machtgefüge, erscheint der Posten eher wie eine Art europäischer Bundespräsident denn als Chef der Regierungschefs: ein Amt, das viel diplomatisches und Moderationsgeschick erfordert, operativ aber im Wesentlichen auf die Repräsentation beschränkt ist.

Und dabei, wie gesagt, beißt es sich auch noch mit den Zuständigkeiten des neuen „europäischen Außenministers“.

Der selbst wiederum wird in allen wichtigen Fragen von Weisungen des Rates abhängig sein. Denn Entscheidungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) müssen auch weiterhin grundsätzlich einstimmig von allen 27 Regierungschefs oder Außenministern getroffen werden. Der Ministerrat, heißt es in Artikel 26 EUV, „fasst die für die Festlegung und Durchführung der GASP erforderlichen Beschlüsse“. (Auch hier übrigens übertragen die Mitgliedsstaaten der EU weitreichende Souveränitätsrechte. Laut der „Passerelle-Klausel“ können die Staatschefs einstimmig beschließen, über bestimmte Bereiche der Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU künftig mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden.)

Zwar erhält der „Außenminister“ neue Initiativrechte. Und er könnte einen gewissen Hebel in die Hand bekommen: Geld. Bisher ist die Außenpolitik Europas auf zwei Köpfe verteilt. Auf Javier Solana den Ratsbeauftragten, der die Mitgliedsländer vertritt, und auf die Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner. Während der eine politische Prestige aber kaum Personal besitzt, wacht die andere über Milliarden und einen ansehnlichen Stab – aber ohne große Gestaltungsmacht. So kommt es, dass die EU zwar mit viel Geld etwa die Palästinensische Selbstverwaltung unterstützt, aber trotzdem nicht als Gestalter wahrgenommen wird.

Auch für den zukünftigten „EU-Außenminister“ wird allerdings dieselbe strukturelle Schwäche gelten wie für den Ratspräsidenten. Das Amt „Hoher Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik“ klingt zwar groß. Doch letztlich unterscheidet es sich in seiner Schlagkraft kaum von der eines Generalsekretärs. Der Nato-Generalsekretär ist mit ganz ähnlichen Befugnissen für die 26 Staaten des Verteidigungsbündnisses ausgestattet. Nimmt ihn deswegen jemand als Außenpolitiker wahr? Und auch von den UN ist überliefert, dass sich ihre Generalsekretäre „mehr als Sekretär, weniger als General“ fühlen.

Gefragt, ob er Angst habe, die EU könnte der neuen US-Regierung den Rang als kraftvollste Klimaschützerin ablaufen, antwortete der ehemalige US-Vizepräsident im Januar 2009 Al Gore: „Es gibt Leute, die spekulieren, dass irgendwann in der Zukunft, falls die Europäische Union sich tatsächlich viel stärker vereinigt, einen Präsidenten haben wird und eine Gesetzgebungskompetenz mit echte Macht, dass sie dann irgendwie aufsteigen könnten, mit Potenzial für Weltführung. Also, ich halte nicht den Atem an.“ (Some have speculated that sometime in the future, if the European Union actually unifies to a much higher degree, and has a president, and an effective legislative body that has real power, they might somehow emerge, with potential for global leadership. I’m not going to hold my breath.)

Der europäische Außenminister allerdings soll einen eigenen Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) erhalten. Noch ist nicht klar, wie genau dieser ausgestaltet sein soll. Bisweilen ist davon die Rede, dass er aus 5000 Diplomaten aller 27 Mitgliedsstaaten bestehen soll. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok schlägt eine „organisatorische Angliederung“ bei der EU-Kommission vor:

„Diese besitzt mehr als 120 Vertretungen außerhalb der EU. In Kombination mit aus den Mitgliedsstaaten rotierend zur Verfügung gestelltem Personal können sie leicht zu echten EU-Botschaften umgebaut werden. Mancherorts ist es auch denkbar, dass einzelne EU-Staaten sich keine nationalen Botschaften mehr leisten und stattdessen die EU-Botschaften für volle konsularische Dienste nutzen. Das spart öffentliche Gelder.“

Fragt sich bloß, ob die Mitgliedsstaaten an dieser Stelle Geld sparen möchte. Eigene diplomatische Vertretungen sind – neben der Sicherung außenpolitischer Interessenwahrungen – schließlich immer auch eine Frage des nationalen Prestiges. Auch schon der Gedanke, eine EU-Paralleldiplomatie zu dulden, dürfte nicht in allen europäischen Hauptstädten Gefallen finden.

„Viele Mitgliedsstaaten wissen noch gar nicht, was das auf sie zukommt“, sagt Sarah Seeger vom Müncher CAP. „Wollen die sich tatsächlich von der EU vertreten lassen?“

Schon heute schließlich versuchen die Botschaften von EU-Mitgliedsländern Europa so einheitlich wie möglich zu vertreten. Dazu dienen unter anderem „Gemeinsame Standpunkte“, an die sich die Botschafter aller EU-Staaten im Ausland halten.

In Brüssel ist schon, wie es ein Parlamentarier beschreibt, ein „Fingerhakeln“ über den neuen Auswärtigen Dienst im Gange. Denn viele Mitgliedsstaaten, Deutschland vorneweg, möchten den Dienst keineswegs in der Kommission angesiedelt sehen. Dort wäre er ihrer Verwaltungshohiet weitgehend entzogen. Eine zweite Möglichkeit wäre, den Dienst am Generalsekretariat des Rates anzudocken. Eine dritte Option ist, ihn als Behörde sui generis zu erschaffen.

Vorläufiges Fazit: Die „gemeinsame“ Außenpolitik des Global Player Europa ist über innereuropäischen Streit noch nicht weit hinaus.