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Chinas Führungskrise setzt auch der Wirtschaft zu

 

Eigentlich hatte Hu Jintao mit dieser Tradition brechen wollen. Kaum als Präsident der Volksrepublik China im Amt, verfügte er 2003, die alljährliche Klausurtagung im Badeort Beidaihe, rund 100 Kilometer östlich von Peking, abzuschaffen. Diesem Treffen der chinesischen Spitzenmänner, das Staatsgründer Mao Zedong 1954 eingeführt hatte, haftete zu sehr der Ruch von Luxus und Verschwiegenheit an.

In diesem Jahr leistet sich die chinesische Führung dieses auf mehrere Wochen terminierte Treffen aber erneut. Seit dem vergangenen Wochenende tagt sie. Die Stimmung unter den Regierungsvertretern ist schlecht. Die gesamte Führung der regierenden Kommunistischen Partei befindet sich derzeit in Aufruhr. Überschattet wird diese Klausurtagung derzeit vom Mordprozess gegen Gu Kailai, die Gattin des einstigen Spitzenpolitikers und Parteichefs der 30-Millionen-Metropole Chongqing, Bo Xilai. Sie hatte der Anklage zufolge vergangenes Jahr im November den britischen Geschäftsmann Neil Heywood ermorden lassen, nachdem er ihr drohte, ihr Geschäftsgebaren auffliegen zu lassen. Wie das im Zusammenhang mit der Führungskrise steht?

Heywood hatte nicht nur dem Sohn von Gu Kailai und Bo Xilai einen Platz an der britischen Eliteschule Harrow verschafft. Der Brite hat über Jahre hinweg für die Familie auch hohe Summen Geld ins Ausland transferiert – wie sich herausstellt, eine gängige Praxis bei vielen wohlhabenden Chinesen, was im Fall von Bo und wahrscheinlich einer ganzen Reihe von Spitzenpolitikern wiederum offenbart, dass selbst Chinas Regierungsangehörige dem von ihnen geführten Staat nicht mehr trauen.

Die kommunistisch geführte Volksrepublik erwirtschaftet enorme Überschüsse, ist gering verschuldet, das Wachstum fällt nach Jahren zweistelliger Raten zwar nicht mehr ganz so üppig aus, bleibt mit sieben bis acht Prozent aber ordentlich. Und dennoch hat das Land vor allem ein Problem: Das Vertrauen der eigenen Bevölkerung schwindet. Dies führt zu ökonomischen Problemen, die wiederum unmittelbar mit dem politischen System im Zusammenhang stehen.

Ich habe mich in diesem Blog wiederholt positiv auf die großen Staatsunternehmen bezogen, die es mithilfe des starken Staates geschafft haben, sich von einst maroden Betrieben zu hocheffizienten Konzernen auf Weltniveau zu wandeln. Anders als die Länder des ehemaligen Ostblocks hat Chinas Führung eben nicht auf einen Schlag alles privatisiert, wie es Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank immer wieder gefordert haben. Nur mit Staatshilfe ist es China gelungen, eigenständige Schlüsselindustrien aufzubauen, die es mit denen der westlichen Staaten aufnehmen können.

Die jahrzehntelange Päppelung der Unternehmen durch den Staat hat auch Schattenseiten. Eine davon: Einige Staatsunternehmen sind zu stark geworden. So sitzen im eigentlichen Machtzentrum der Zentralregierung, dem Ständigen Ausschuss des Politbüros, inzwischen neun hohe Spitzenpolitiker, die gar nicht so sehr für unterschiedliche politische Richtungen stehen. Vielmehr vertreten sie knallharte Eigeninteressen. Und die sind oft mit den Interessen der großen Staatsbanken oder Staatsbetriebe verbunden. So kommt deswegen etwa die so dringend nötige Reform des Bankensystems, die endlich auch kleine und mittelständische Betriebe berücksichtigt, nur so schleppend voran, weil in der Führung Kräfte sitzen, die an der Kreditvergabe ausschließlich an große Staatsunternehmen kräftig mitverdienen. Der Zulassung neuer Autos in den bereits völlig verstopften Großstädten wird deshalb nur unzureichend Einhalt geboten, weil ranghohe Politiker mit Staatsunternehmen wie der First Automotive Industry (FAW) verbandelt sind.

Die Folge: Den Staatsunternehmen geht es gut und sie werden auch auf der politischen Bühne immer mächtiger. Eine mittelständische Industrie hingegen hat es schwer. Genau das führt jedoch zu einem weiteren Problem: Zu Vermögen gekommene Privatleute, von denen es in China inzwischen eine ganze Menge gibt, verlieren das Interesse, in den eigenen Mittelstand zu investieren.

Haben sich Wohlhabende erst einmal eine Wohnung und zwei Autos zugelegt, wäre in einem entwickelten Land der nächste Schritt, in die Zukunft, also in die Bildung ihrer Kinder und der Altersversorgung zu investieren. Letzteres unter anderem über die Investition in mittelständische Unternehmen und Betriebe. Beides findet in China aber nicht statt. Zumindest nicht im eigenen Land. Stattdessen werden die Kinder in Eliteschulen ins Ausland geschickt. Und das angehäufte Kapital mit ihnen.

Chinas Wirtschaft steht vor einem Wendepunkt. Die bislang auf Export getriebene Industrie bricht wegen steigender Löhne in China einerseits und schwächelnder Absatzmärkte in den USA und Europa andererseits zunehmend weg. Meint es die Führung Ernst, auf einen stärkeren Binnenmarkt zu setzen mit einem robusten Mittelstand, dann muss sie mit dem Interessensgeflecht in ihrer eigenen Spitze aufräumen. Gelingt ist das nicht, drohen der Volksrepublik russische Verhältnisse.