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Chinas gewaltiges Erdbeeren-Geschäft

 

Das Noro-Virus ist sicherlich kein spezifisch chinesisches Problem. Er kann überall auftauchen. Was Früchte und Gemüse aus der Volksrepublik vielleicht etwas anfälliger macht für dieses Virus, der beim Menschen Brechdurchfall auslöst: In China wird immer noch mit Jauche gedüngt. In der EU ist das verboten.

Mehr als 11.000 Kinder und Jugendliche in Ostdeutschland haben sich vor zwei Wochen mit dem Noro-Virus infiziert. Sie litten mehrere Tage unter schwerem Brechdurchfall, weil das Catering-Unternehmen Sodexo in den von ihm belieferten Kantinen tiefgekühlte Erdbeeren aus Fernost serviert hatte. Die Erkrankungswelle ist wieder abgeebbt. Nachgewiesen ist derweil, dass die Tiefkühlerdbeeren aus China stammten. Die Frage lautet nun: Warum werden die Früchte über den halben Globus transportiert und landen dann auf dem Teller deutscher Schulkinder?

Die Antwort ist einfach: Sie sind billig. Ich habe erst vor Kurzem mit einem Mitarbeiter eines bekannten deutschen Marmeladenherstellers gesprochen. Er erzählte mir, eine Tonne chinesischer Erdbeeren sei bereits für rund 600 Euro zu haben. Deutsche Erdbeeren kosteten mehr als das Dreifache. Spanische Erdbeeren immerhin noch mehr als das Doppelte.

Ein anderer Lebensmittelhersteller, der hier aber ebenfalls namentlich nicht erwähnt wird, verriet mir noch etwas anderes: Inzwischen stammen rund 80 Prozent aller in der Nahrungsindustrie verbrauchten Erdbeeren aus der Volksrepublik. Warum das bislang kaum jemanden aufgefallen ist? Weil sie zumeist in Form von Marmelade, Gelee, Kompott oder Geschmacksverstärkern in Joghurts, Süßigkeiten, Backwaren oder Eiscreme auftauchen. Auf den Etiketten gibt es zudem keine Kennzeichnungspflicht, woher die einzelnen Zutaten stammen. In Wahrheit sind Erdbeeren aus China aus fast keinem deutschen Haushalt mehr wegzudenken.

Damit nicht genug: Ein Großteil des Apfelsaftkonzentrats in Deutschland stammt ebenso aus China wie Dosenmandarinen, Knoblauchknollen und Blattspinat. Chinas westliche Grenzregion Xinjiang hat sich bereits seit einiger Zeit zum weltweit zweitgrößten Tomatenproduzenten gewandelt und ist weltgrößter Hersteller von Ketchup und Tomatenmark. Das Reich der Mitte ist inzwischen größter Obst- und Gemüseproduzent.

Das alles ist auch deshalb überraschend, weil in Deutschland bekannt ist, wie schlecht es um die Lebensmittelsicherheit in China zum Teil steht. Immer wieder gab es große Lebensmittelskandale. Mal wurden in Joghurt giftige Substanzen entdeckt, die normalerweise in Schuhputzmittel zu finden sind. Babymilchpulverhersteller haben ihre Produkte mit Melamin gestreckt. Ständig kommt es zu Fleischskandalen. Messungen ergeben immer wieder, dass viel zu viel Pestizide gesprüht werden. Auch viele Chinesen trauen Lebensmitteln aus ihrem eigenen Land nicht mehr. Wer es sich in Städten wie Peking und Schanghai leisten kann, kauft Milch und Joghurt in Geschäften, die ihre Produkte aus dem Ausland beziehen.

Der chinesischen Führung sind die Probleme bewusst. Sie hat längst strenge Lebensmittelverordnungen erlassen, die sich mit jenen in den EU-Ländern durchaus messen können. Es hapert nur an der Umsetzung. Auch dass die Verantwortlichen des jüngsten Milchskandals zum Tode verurteilt wurden, ändert daran wenig.

Die Obst- und Gemüsenbauern sind häufig Kleinbauern, die sich qualitativ hochwertige Düngemittel nicht leisten können. Daher nutzen sie die Fäkalien ihrer Tiere. Angesichts der vielen Kleinlieferanten ist es nicht einmal für die chinesischen Zwischenhändler nachvollziehbar, von wem sie welche Früchte oder Knollen bekommen haben.

Globalisierung hin oder her: Bei der Landwirtschaft halte ich den weltweiten Warenhandel  prinzipiell für fragwürdig. Der komparative Kostenvorteil nach Ricardo versagt meines Erachtens bei der Landwirtschaft. Ricardo argumentiert, dass allen Seiten gedient ist, wenn ein Land ein bestimmtes Gut zu geringeren Kosten produziert als die Konkurrenz. Globalisierung in der Landwirtschaft führt jedoch zu Monokulturen – was schlecht ist für die Böden. Zugleich entstehen gigantische Produktionsüberschüsse eines Gutes in einem Land. Sie werden dann oft zu Schleuderpreisen in anderen Ländern verhökert, was wiederum den Ruin vieler alteingesessener Bauern zur Folge hat. Die Umweltkosten sind da noch gar nicht eingerechnet.

Gut ist allerdings, dass das Produkthaftungsgesetz noch nicht globalisiert ist. Das Gesetz schreibt vor, dass Nahrungsmittelhersteller für Mängel in den von ihnen angebotenen Produkten geradestehen. Vielleicht überdenken deutsche Lebensmittelhersteller nach dem Erdbeerskandal ihre Strategie und bieten Marmelade und Tiefkühlobst wieder aus heimischer Erzeugung an. Schmeckt oft auch besser.