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Peking kämpft gegen Mikroblogger und Pingpongbälle

 

Die Bewohner von Peking sind es gewohnt, dass die Behörden alle paar Monate die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen. Während des nationalen Volkskongresses im Frühjahr gelten strenge Sicherheitsregeln, ebenso wie zum Jahrestag des Tiananmen-Massakers am 4. Juni. Oft kommt es vor, dass die Polizei ohne größeren Anlass ihre Präsenz verstärkt. Dann stehen Soldaten auf jeder Brücke, an jeder Kreuzung und vor jedem großen Gebäude.

Das ist jetzt, kurz vor dem 18. Parteitag von Chinas regierenden Kommunisten am Donnerstag, nicht anders. Und dennoch toppt der Sicherheitsapparat alles bislang Dagewesene.

Rund 1,4 Millionen Bürger haben Pekings Behörden angeheuert, damit sie neben den vielen Polizisten und Soldaten für einen reibungslosen Ablauf in der Stadt sorgen. Amnesty International berichtet von mindestens 130 Oppositionellen, die seit September verhaftet oder unter Hausarrest gestellt sind. Einige wurden gezwungen, Peking für die Zeit des Parteitages zu verlassen.

Zu dem Sicherheitskonzept gehört auch, dass Taubenzüchter ihre Vögel nicht mehr aus dem Schlag lassen dürfen. Immerhin könnten die Vögel subversive Botschaften überbringen. In vielen Geschäften sind keine Küchenmesser mehr erhältlich. Der Transport von gefährlichen Gütern, etwa Tankwagen mit brennbarer Flüssigkeit, sind in der Stadt bis auf weiteres verboten. Taxifahrer sind verpflichtet, auf den Rücksitzbänken die Fensterkurbeln abzuschrauben. Fahrgäste könnten Pingpongbälle aus dem Fenster werfen, auf denen unerwünschte Botschaften stehen.

Auch virtuell haben Chinas Sicherheitsbehörden aufgerüstet. Seit mehr als einer Woche ist das Internet im ganzen Land außerordentlich langsam. Netzexperten vermuten, dass die Zensoren spezielle Filter aktiviert haben, die den Datenfluss im chinesischen Netz hemmen. Die Behörden sollen auch gegen Nutzer vorgehen, die über sogenannte Virtual Private Networks (VPN) – Entsperrdienste aus dem Ausland – die „Große Firewall“ umgehen.

Auch die VPN werden zum Ziel von Attacken. Die Nutzungsprotokolle der Dienste zeigen, welcher Methode sich die staatlichen Zensoren bedienen: Wenn sie einen VPN-ähnlichen, geschützten Datenstrom entdecken, mischen sie regelmäßig falsche Datenpakete dazwischen. Der Netzwerkrechner im Ausland verschluckt sich daran und schließt meist die Verbindung. Der Effekt: Der Datenfluss wird unzuverlässig und lückenhaft. Viele Nutzer geben diese Methode daher entnervt auf.

Chinas paranoide Führung sieht im Internet und vor allem in den sozialen Netzwerken eine neue Gefahr. Quantitativ hat sie damit sicherlich Recht: Waren beim letzten Parteikongress 2007 gerade einmal 200 Millionen Chinesen online und die sozialen Netzwerke noch wenig verbreitet, liegt die Zahl der Nutzer nun bei mehr als einer halben Milliarde. Vor allem Blogs und die Twitter-ähnlichen Kurznachrichtendienste sind sehr weit verbreitet und werden trotz der staatlichen Zensuranstrengungen eifrig zum Austausch regierungskritischer Botschaften genutzt. Sie haben inzwischen sogar einen größeren Verbreitungsgrad als die vielen Tageszeitungen im ganzen Land, die alle mehr oder weniger staatlich zensiert werden.

Ein unmittelbares Opfer der Internetpolizisten gibt es bereits: Ein Gericht in der südwestchinesischen Stadt Kunming hat am Donnerstag einen 27-jährigen Betreiber eines Internet-Cafés zu acht Jahren Haft verurteilt. Er soll ein Online-Forum organisiert haben, in dem die Teilnehmer unter anderem über Reformen und Demokratie diskutiert haben. Die Richter werfen ihm „Untergrabung der Staatsgewalt“ vor.