Wer die beiden Metropolen Peking und Tokio kennt, dem ist klar, wie groß der Abstand zwischen der Volksrepublik und dem hoch entwickelten Nachbarn noch immer ist. In Tokio locken unzählige Konsumtempel, das kulturelle Angebot ist riesig, die Stadt ist sauber und ordentlich. Japan ist nach wie vor ein wohlhabendes Land – und das trotz jahrzehntelanger Wirtschaftsflaute. Die Kanto-Region mit ihrem Zentrum Tokio bleibt eine der wirtschaftsstärksten Regionen der Welt.
Chinas Hauptstadt Peking ist zwar auch modern. Aber die Luft ist schlecht, der öffentliche Nahverkehr unzureichend ausgebaut, nach wie vor leben in Peking Millionen arme und sozial benachteiligte Wanderarbeiter.
Man könnte meinen: China schaut neidisch nach Japan. Doch das Gegenteil ist der Fall. Trotz des glitzernden Wohlstands ist Japan für chinesische Ökonomen vor allem eins: ein abschreckendes Beispiel.
Das mag auf den ersten Blick überraschen, schließlich gibt es in der Entwicklung der beiden Volkswirtschaften eine Reihe von Parallelen: Beide Staaten erlebten ab den späten fünfziger Jahren eine über drei Jahrzehnte anhaltende Phase des rasanten Wirtschaftswachstums. In den achtziger Jahren standen sie wegen enormer Exportüberschüsse unter Druck, ihre Währungen zum Dollar aufzuwerten. Und wie aktuell in China, boomte auch in Japan der Immobilienmarkt, angeheizt durch günstige Kredite. 1988 war der Kaiserpalast im Herzen Tokios genauso viel Wert wie damals ganz Kalifornien.
Doch in Japan platzte diese Blase 1990 – mit dramatischen Folgen. Seit nunmehr zwei Jahrzehnten dümpelt Japans Wirtschaft vor sich hin und schrammt Jahr für Jahr knapp an einer Deflation vorbei. Das heißt: Die Preise fallen und die Kaufbereitschaft sinkt – schließlich hoffen Konsumenten, dass Güter noch günstiger werden. Momentan durchläuft die japanische Wirtschaft sogar mal wieder eine Rezession und schrumpft sogar.
Was heißt das für China? Die Wachstumsraten gehen zurück, die Bauwirtschaft, die noch die Konjunktur antreibt, ist vor allem auf Pump finanziert. Droht China, verwöhnt von zweistelligen Wachstumsraten, ein ähnliches Schicksal wie Japan?
Das glaube ich nicht. Sicher, die Länder weisen viele Parallelen auf. Doch zunächst einmal müsste China überhaupt das Wirtschaftsniveau erreichen, auf dem sich Japan vor dem Platzen der Blase befand. Chinas jährliche Wirtschaftsleistung pro Kopf lag im vergangenen Jahr bei 5.445 US-Dollar. Diesen Wert erreichten die Japaner im Jahr 1963. Als 1990 Japans Blase platzte, lag dort die Wirtschaftsleistung pro Kopf (in heutigen Werten) bei rund 43.000 US-Dollar. Japan war also damals ein reiches Industrieland – wenn nicht sogar das wohlhabendste der Welt. Davon ist China noch sehr weit entfernt.
Warum ist das relevant? „Wenn ein Land arm ist, kann es leichter aufholen“, sagt der ehemalige Weltbank-Ökonom und jetzige Volkswirt bei der Royal Bank of Scotland, Louis Kuijs. Was er damit konkret meint: Solange der wirtschaftliche Nachholbedarf groß ist, kann ein Land mit hohen Wachstumsraten rechnen. Auch hohe Schulden lassen sich leichter begleichen – etwa über eine Entwertung per Inflation.
Das Problem ist nur: China will zurzeit um jeden Preis eine zu rasche Aufwertung der Währung vermeiden. Europa und die USA haben in den vergangenen Jahren immer wieder angeprangert, der Renminbi sei unterbewertet und China solle ihn angesichts seiner großen Exportüberschüsse aufwerten.
An der Kritik ist zwar durchaus etwas dran. Nur muss man fairerweise auch sagen: An einer unausgeglichenen Handelsbilanz sind immer zwei Seiten beteiligt. China hat in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich auf Export gesetzt. Japan tat ähnliches in den siebziger und achtziger Jahren. Aber Länder wie Großbritannien und die USA haben in dieser Zeit ihre Volkswirtschaften deindustrialisiert (zum Teil durch eine bewusste Schwächung von Arbeitnehmerrechten). So verlegten Betriebe ihre Firmensitze ins Ausland. Die Folge: Die Angelsachsen hatten schlicht und einfach nicht mehr genug zu exportieren.
Japan hat damals dem Druck aus den USA nachgegeben. Die Bank of Japan senkte den Leitzins, um die Stärke des Yen abzufedern. Damit heizte sie einen kurzfristigen Boom an, der aber eben abrupt mit dem Platzen der Blase endete. Von genau diesem Absturz hat sich Japan bis heute nicht erholt.
Eine solche Entwicklung will Chinas Führung um jeden Preis vermeiden. Die chinesische Zentralbank wertet deswegen die Währung nur ganz allmählich auf.
So sehr Tokios Straßen bis heute blinken und glänzen, Peking ist eines klar: Zwei verlorene Jahrzehnte wie Japan kann sich China nicht leisten.