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Chinesischer Blogger stürzt Spitzenfunktionär

 

Da behaupte noch einer, Blogs hätten nur wenig Einfluss. Zumindest in der autoritär regierten Volksrepublik China haben sie längst die Funktion einer vierten Gewalt übernommen. Erstmals in der Geschichte hat ein Blogger nun einen Vizeminister gestürzt. Liu Tienan, Vizechef der mächtigen Planungskommission, musste am Dienstag wegen „schwerer Disziplinarverstöße“ seinen Stuhl räumen. Er ist der bislang ranghöchste Parteifunktionär, der durch kritische Berichte im Internet zu Fall gebracht wird.

Luo Changping, stellvertretender Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins Caijing hatte im vergangenen Dezember in seinem Blog über Machtmissbrauch und Korruption berichtet und Liu Tienan in diesem Zusammenhang namentlich genannt. Die Nationale Kommission für Reform und Entwicklung, deren Vizechef Liu bis Dienstag war, ist eine der wichtigsten Ministerien der Volksrepublik. Sie entscheidet über alle großen Industrie- und Infrastrukturprojekte im Land. Liu stand auch der Nationalen Energiebehörde vor, einer weiteren Schlüsselbehörde Chinas.

Blogger Luo warf dem Parteifunktionär vor, lukrative Geschäfte von Familienmitgliedern qua Amt gefördert zu haben. Er soll sich dabei auch selbst bereichert haben. Das Interessante an der Enthüllung: Luo veröffentlichte sie nicht in der Printausgabe seines Wirtschaftsmagazins, sondern in seinem Privatblog. Dabei ist Caijing eine der wenigen Zeitschriften, die nicht in staatlicher Hand sind, und damit der Zensur weniger ausgesetzt als die meisten anderen Zeitungen und Nachrichtenmagazine. Gerade den Wirtschaftstiteln hat die chinesische Führung vor einigen Jahren mehr Freiraum gegeben. Sie sollten auf diese Weise mehr Korruption aufdecken. Genau darauf haben sich Zeitschriften wie Caijin oder auch Caixin auch spezialisiert. In Chinas einschlägigen Wirtschafts- und Politikkreisen erfreuen sie sich deshalb großer Beliebtheit.

Dennoch war es Caijin im Dezember offensichtlich noch zu heikel, über die Verfehlungen des Vizechefs der nationalen Planungsbehörde zu berichten. Der stellvertretende Chefredakteur Luo zog seinen Blog vor. Caijin wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern.

In China ist es seit jeher so, dass Journalisten häufig mehr wissen, als sie in den staatlich kontrollierten Zeitungen und Zeitschriften schreiben dürfen. Das Mitteilungsbedürfnis ist dennoch hoch. Selbst Mitarbeiter der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua oder des Staatsfernsehsenders CCTV geben die von ihnen recherchierten Informationen oft bereitwillig an ausländische Journalisten weiter. Vieles wird inzwischen jedoch auch gebloggt. Der Vorteil: Ehe die Zensur auf die Berichte reagieren kann, verbreiten sie sich im Netz. Auf Foren wie etwa dem Twitter-Pendant Sina Weibo werden sie dann breit diskutiert.

Auch die chinesische Führung weiß inzwischen um die Bedeutung dieser Netzwerke. Die Behörden bedienen sich ihrer schon seit Längerem, um Korruptionsfälle aufzudecken. Meist geht es dabei aber um lokale Parteisekretäre oder kleinere Beamte. An die Spitzenfunktionäre in der Hauptstadt trauten sich die Blogger bislang nicht heran. Zu groß schien die Gefahr, der Zentralregierung könnte die Aufdeckung von Skandalen in den eigenen Reihen dann doch zu weit gehen, und sie könnte die Blogger sanktionieren statt der korrupten Politiker.

Das Klima scheint sich nun zu ändern. Nach dem Skandal um den gestürzten Spitzenpolitiker Bo Xilai im vergangenen Jahr hat Chinas seit März amtierender Staatspräsident Xi Jinping die Korruptionsbekämpfung zur Chefsache erklärt. Dass dem nun zum ersten Mal ein so hohes Parteimitglied zum Opfer fällt, könnte als Signal verstanden werden. Möglicherweise meint Xi es im Gegensatz zu seinen Vorgängern wirklich ernst.