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China schweigt und sperrt

 

Das hat es auch in China noch nicht gegeben. Zwei Drittel des gesamten chinesischen Internets waren am Dienstag über viele Stunden hinweg plötzlich blockiert. Hundertmillionen von Chinesen hatten keinen Zugriff mehr. Eine offizielle Begründung wurde nicht genannt. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua sprach lediglich von einem „vermuteten Hacker-Angriff“. Einen Tag darauf glauben einige Nutzer den Grund zu kennen: Sie mutmaßen einen Zusammenhang mit den jüngsten Enthüllungen über das angebliche Milliardenvermögen chinesischer Politikerfamilien und Geschäftsleute in Steueroasen auf karibischen Inseln.

So abwegig ist die Vermutung nicht. Denn ebenfalls seit einigen Tagen ist die Webseite des britischen Guardian nicht mehr abrufbar, seit dem frühen Mittwochmorgen auch die Webseite der Süddeutschen Zeitung nicht und die des NDR. Diese Medien gehörten zu denen, die als erstes über die veröffentlichten Offshore-Leaks berichtet hatten. Offenbar waren die chinesischen Zensurbehörden vorgewarnt.

Journalisten des Internationalen Konsortiums für Investigativen Journalismus (ICIJ) haben enthüllt, dass Chinas Führungselite seit Jahren ihr Vermögen in Steueroasen auf den britischen Jungferninseln und Samoa im pazifischen Ozean horten und dort Geschäfte betreiben. Unter den genannten Namen finden sich so illustre Namen wie Deng Jiagui, Schwager des amtierenden Präsidenten Xi Jinping, Wen Yunsong, Sohn des früheren Premierministers Wen Jiabao, aber auch Li Xiaolin, die berühmte Tochter von Li Peng, der 1989 als Premierminister die Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz mit zu verantworten hatte.

Selbst die Namen des Schwiegersohns des einstigen mächtigen Reformers Deng Xiaoping, sowie ein Familienangehöriger von Expräsident Hu Jintao, tauchen in den Unterlagen auf. Unter den mehr als 21.000 aufgeführten Offshore-Kunden aus der Volksrepublik und Hongkong finden sich 13 Namen von Angehörigen chinesischer Spitzenpolitiker.

Es ist der bislang deutlichste Beweis dafür, dass Chinas kommunistische Machtelite tief darin verwoben ist, Vermögen illegal ins Ausland zu schaffen und es dort vermehren zu lassen. Dem ICIJ-Bericht zufolge haben chinesische Vermögende seit der Jahrtausendwende Kapital im Wert von bis zu vier Billionen Dollar aus der Volksrepublik in die Steueroasen geschoben.

Weshalb diese Enthüllungen in China für zusätzliche Brisanz sorgen: In demokratischen Ländern müssen Politiker und Unternehmer meistens von ihren Posten zurücktreten und werden mit hohen Geldbußen belegt, sollte ihnen nachgewiesen werden, dass sie große Summen an dem Fiskus vorbei geschleust haben.

Xi Jinping will Korruption bekämpfen

In China hingegen rühmt sich die derzeitige KP-Spitze – allen voran Chinas Staatspräsident Xi Jinping – damit, das Problem von Machtmissbrauch, Steuerflucht und Selbstbereicherung eigenständig in Griff zu bekommen. Seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr überzieht Xi das Land mit einer umfassenden Antikorruptionskampagne und beteuert, gegen „Tiger und Fliegen gleichermaßen“ mit eiserner Hand vorzugehen. Er werde keine Rücksicht darauf nehmen, ob es sich um niedrige Beamte oder Spitzenfunktionäre handelt.

In der Tat vergeht derzeit kaum ein Tag, an dem chinesische Staatsmedien nicht neue Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung vermelden. Angeblich wurde im vergangenen Jahr gegen 37.000 Beamte und Parteisekretäre ermittelt. Selbst online wird ordentlich für diese Kampagne geworben. Die Volkszeitung – das weit verbreitete Zentralorgan der KP – beteiligt sich sogar mit einem Onlinespiel bei der Korruptionsbekämpfung.

Würde Xi sein Versprechen halten, müsste er gegen seine eigenen Familienmitglieder vorgehen. Der Straftatbestand der Korruption ist mit den bislang geleakten Daten zwar noch nicht erfüllt. Doch Steuer- und Kapitalflucht reicht für eine  Bestrafung völlig aus. Alle genannten Familienangehörigen dieser Spitzenpolitiker sind in China gemeldet und damit in der Volksrepublik steuerpflichtig, ebenso die aufgeführten Spitzenunternehmer. Die ICJ-Journalisten können eigenen Angaben zufolge detailliert zurückverfolgen, auf welche dunklen Kanäle über Hongkong und die Steueroasen seit 2000 massiv Kapital aus China abgeflossen ist. Sie kündigten für die nächsten Tage weitere Enthüllungen an.

Doch weder gibt es von offizieller Seite eine Stellungnahme, noch haben die staatlich kontrollierten Medien am Mittwoch über die geleakten Enthüllungen berichtet. Das durften sie auch schon im Sommer 2012 nicht, als zunächst die US-Nachrichtenagentur Bloomberg schon einmal über das angebliche Familienvermögen von Xi Jinping berichte und wenige Monate später die New York Times mit einem umfangreichen Bericht über das Familienvermögen des damals noch amtierenden Premierministers Wen Jiabao nachzog. In beiden Fällen wurden die Nachrichten unterdrückt; die Webseiten beider US-Medien sind seitdem blockiert.

Einträge von chinesischen Bloggern zu den nun geleakten Informationen machten auf den chinesischen Mikroblogdiensten am Mittwoch zwar die Runde. Die meisten Einträge waren nach wenigen Minuten aber wieder gelöscht. Wer etwa beim Twitter-ähnlichen Dienst Sina Weibo auf chinesisch „Steueroase“ eingab, bekam eine Fehlermeldung angezeigt.

Zufall? Wahrscheinlich nicht: Seit dem frühen Morgen läuft im Westteil von Peking der Prozess gegen Chinas derzeit prominentesten Bürgerrechtler: Der 40-jährige Xi Zhongyi hat vor zwei Jahren die Initiative „Bewegung neuer Bürger“ gegründet, die sich unter anderem für die Offenlegung der Vermögen von Funktionären und Spitzenkadern einsetzt. Wegen angeblicher „Störung der öffentlichen Ordnung“ drohen dem Bürgerrechtler nun fünf Jahre Haft.