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China gefährdet sich, aber nicht die Welt

 

Wieder einmal machen Horrormeldungen über den Zustand von Chinas Wirtschaft die Runde: Überschuldung, faule Kredite, Schattenbanken – am Dienstag entzog die chinesische Zentralbank dem Geldmarkt 48 Milliarden Yuan (rund 5,8 Milliarden Euro) und befeuerte damit weltweit die Sorge vor neuen Turbulenzen. Nach der Finanzkrise in den USA und Schuldenkrise in Europa mehren sich die Befürchtungen, dass nun auch das chinesische Finanzsystem zusammen brechen könnte – mit Auswirkungen auf die ganze Welt.

Vor einigen Tagen hatte bereits die Societé Générale vor einer möglichen Krise in China gewarnt: Chinas derzeitiges Schuldenproblem würde dazu führen, dass das Wachstum von zuletzt 7,7 auf unter fünf Prozent einbrechen könnte. Der Weltwirtschaft drohe ein massiver Schock, sagte die China-Analystin Michala Marcussen der französischen Großbank. Das globale Wachstum würde dann um 1,5 Prozentpunkte geringer ausfallen. Derzeit geht die Weltbank für das laufende Jahr noch mit einem Anstieg um 3,2 Prozent aus. Schon gehen einige Analysten von einer neuen weltweiten Krise wie nach dem Zusammenbruch der Lehman-Bank 2008 aus.

Die Lage ist ernst – aber bei Weitem nicht so dramatisch.

Tatsächlich hat auch China inzwischen ein großes Schuldenproblem. Die binnen weniger Jahre rasant gestiegene Verschuldung der chinesischen Lokal- und Provinzregierungen sind nur das eine und könnten noch damit gerechtfertigt werden, dass der Ausbau von Straßen und öffentlichen Gebäuden für ein in weiten Teilen unterentwickeltes Land benötigt werden.

Doch inzwischen haben es auch viele Unternehmen mit ihren Ausgaben übertrieben. Allein im Januar wurden nach Angaben der chinesischen Zentralbank neue Darlehen im Volumen von 2,58 Billionen Yuan (rund 310 Milliarden Euro) vergeben. Das ist ein neuer Rekord. Experten sprechen angesichts dieser rasant gestiegenen Geldmenge von einer Kreditblase, die jederzeit platzen könnte.

Die allzu lockere Kreditvergabe der chinesischen Banken hat dazu geführt, dass die Firmen sehr viel Geld in völlig unproduktive Anlagen gesteckt haben. Viele Konzerne leiden haben große Überkapazitäten aufgebaut und können ihre Kredite nicht mehr begleichen. Die faulen Kredite der chinesischen Banken sind im vierten Quartal auf den höchsten Stand seit Ausbruch der Weltfinanzkrise im September 2008 gestiegen.

Nicht mit Lehman vergleichbar

Und selbst das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein: Ein Großteil der Geldgeschäfte findet in der Volksrepublik derzeit im sogenannten Schattenbankensystem statt. Dazu zählen dubiose Vermögensverwaltungsprodukte, die sich außerhalb der offiziellen Bankbilanzen bewegen. Wie viel Geld genau in diesem Schattenmarkt steckt – dazu gibt es nur grobe Schätzungen. Die Rating-Agentur Fitch geht von 3,7 Billionen Yuan (rund 440 Milliarden Euro) aus. Auch wenn bei Weitem nicht alles faul ist, sehen viele Experten darin eine tickende Zeitbombe.

Doch so besorgniserregend Chinas Verschuldung derzeit erscheinen mag: Anders als bei der Lehman-Pleite ist Chinas Schuldenproblem nicht systemgefährdend. Obwohl die Vermögensverwaltungsprodukte in China kaum reguliert sind und bislang noch keiner Aufsicht unterstehen, ist das Schuldverhältnis immer noch recht geradlinig. Es findet ganz klassisch zwischen einem Schuldner und einem Gläubiger statt. Kann der Schuldner das Geld nicht zurück zahlen, hat nur der Gläubiger den Verlust. Dabei handelt es sich ausschließlich um Reiche, die sich den Ausfall auch leisten können. Andere werden nicht in den Sog gezogen.

Anders hingegen die Situation damals bei der Subprimekrise 2008: US-Banken hatten in den Jahren zuvor risikoreiche Immobilienkredite an Käufer vergeben, die sich eine Immobilie gar nicht leisten konnten. Diese Hypotheken wurden mehrfach gebündelt, verbrieft und in Tranchen geteilt, so dass die Ramschpapiere nicht mehr als solche erkannt und sie anschließend weltweit Anlegern als scheinbar erstklassige Vermögenstitel angeboten wurden. Als der Bluff aufflog und die Hypotheken sich als weitgehend wertlos erwiesen, waren auch Anleger im fernen Europa betroffen, die ihr erspartes Vermögen leichtgläubig ihrer örtlichen Bank anvertraut hatten, die sich wiederum im US-Investmenbanking betätigte.

Ein solcher Schneeballeffekt kann von China aufgrund des weitgehend abgeschotteten Kapitalmarktes nicht ausgehen. Aber auch innerhalb Chinas bleibt der Schaden begrenzt. Mehrfache Verbriefungen und Bündelungen der Schuldenpapiere sind in China nicht üblich. Eine Kettenreaktion dürfte daher ausbleiben.

Das weiß auch die chinesische Regierung. Sie hat die Schuldenexzesse nicht zuletzt deswegen lange Zeit geduldet, weil sie ihr Gesamtfinanzsystem nicht gefährdet sah. Nun aber soll Schluss sein. Die Zentralbank hat die Geldversorgung in den vergangenen Monaten schon mehrfach verknappt, um die Banken zur Räson zu bringen. Bislang ohne sichtbarem Erfolg. Die erneute Liquiditätsverknappung soll dieser Disziplinierung zum Durchbruch verhelfen.

Ob es ihr gelingen wird oder nicht: So oder so dürfte sich Chinas Wirtschaftswachstum in den kommenden Monaten abschwächen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Eine weltweite Finanzkrise droht aus der Volksrepublik aber nicht. Nur für ein Land wie Deutschland, das in den vergangenen Jahren allzu einseitig auf den Export nach China gesetzt hat, dürfte eine Eintrübung der chinesischen Wirtschaft schon sehr schmerzhaft werden.