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Taiwan fürchtet chinesische Einwanderer

 

In Taiwan bewerfen sich die Parlamentarier zuweilen mit Teetassen. Das hat Tradition. Einige Taiwan-Chinesen sind sogar stolz auf diese Streitkultur. Das sei wahre Demokratie, sagen sie – nicht zuletzt in Abgrenzung zur Volksrepublik, wo auf dem jährlichen Nationalen Volkskongress die Beschlüsse der Führung lediglich abgenickt werden.

Doch besetzte Ministerien, prügelnde Polizisten und mit Plastikflaschen um sich schlagende Demonstranten – das sind auch für Taiwan eher ungewöhnliche Verhältnisse. Außerparlamentarische Proteste war den meisten fremd. Bislang.

Seit über einer Woche halten Hunderte von Studenten das Parlamentsgebäude besetzt, Tausende gehen fast täglich in der Hauptstadt Taipeh auf die Straße. Am vergangenen Sonntag versuchten einige Demonstranten sogar, den Regierungssitz zu erstürmen. Als daraufhin die Polizei die Besetzung verhindern wollte, kam es zu handfesten Auseinandersetzungen mit Verletzten und Festnahmen.

Dabei ist der Anlass des Protestes eher nebensächlich. Es geht um ein bereits vor einiger Zeit ausgehandeltes Freihandelsabkommen zwischen Taiwan und der Volksrepublik. Der Vertrag soll es Firmen aus Festlandchina erlauben, in 64 Branchen des Dienstleistungssektors zu investieren, darunter im Handel, Gesundheitswesen, Kommunikationssektor und in der Gastronomie. Umgekehrt sieht das Abkommen vor, dass Investoren aus Taiwan Zugang zu 80 Branchen in der Volksrepublik erhalten. Taiwan zieht also eigentlich einen größeren Vorteil aus dem Abkommen.

Das Abkommen wurde schon im vergangenen Jahr zwischen Taipeh und Peking vereinbart und bedarf nur noch der Zustimmung des Parlaments. Taiwan ist de facto seit 1949 unabhängig. Doch offiziell erhebt die kommunistische Führung in Peking weiterhin Anspruch und sieht in der Insel lediglich eine abtrünnige Provinz. Umgekehrt betrachtet sich auch die Führung in Taipeh als rechtmäßige Regierung von China.

Zwar droht Peking immer wieder mit Militärschlägen, sollte sich Taiwan auch offiziell loslösen. Der Konflikt hat sich in den vergangenen Jahren aber deutlich entspannt, nachdem in Taiwan die Unabhängigkeitsbefürworter in Form der Democratic Progressive Party (DPP) vor ein paar Jahren abgewählt wurden. Zudem sind die Verflechtungen beider Seiten der Meerenge inzwischen so eng, dass der wirtschaftliche Schaden gigantisch wäre, sollte es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommen. Taiwan ist Chinas größter Handelspartner und Investor. Allein im Großraum von Shanghai leben über eine Million Taiwan-Chinesen.

Doch warum ist dann in Taiwan die Aufregung derzeit so groß? Es ist die weit verbreitete Angst unter den rund 23 Millionen Taiwan-Chinesen, von den Chinesen vom Festland, das rund 60 Mal so viel Einwohner zählt, überrannt zu werden.

Dabei sieht das Abkommen, anders als von den Gegnern immer wieder behauptet, gar nicht die Öffnung des Arbeitsmarktes vor. Zumindest in Taiwan nicht. Während Taiwan-Chinesen verhältnismäßig einfach eine Arbeitsgenehmigung auf dem Festland erhalten, wird es umgekehrt für Chinesen vom Festland auch weiter sehr schwierig bleiben, nach Taiwan überzusiedeln.

Das nun ausgehandelte Abkommen sieht denn auch lediglich vor, dass Unternehmen aus der Volksrepublik investieren dürfen. Umgesetzt werden müssen diese Investitionen weiter von einem Partner aus Taiwan. Die Furcht, die Öffnung gegenüber dem Nachbarn China könnte Jobs kosten und einheimische Unternehmen verdrängen, ist daher unbegründet.

Die – wenn auch irrationale – Angst der Taiwan-Chinesen ist dennoch nachvollziehbar. Dazu genügt ein Blick auf Hongkong, der 1997 an die Volksrepublik zurückgegebenen ehemaligen britischen Kronkolonie. Auch Hongkong genießt einen Sonderstatus mit Grenzkontrollen und einem von der Volksrepublik unabhängigem Wirtschafts- und Verwaltungssystem. Aus Furcht vor einem Massenansturm durften Festlandchinesen vor ein paar Jahren zunächst ebenfalls nicht ohne Weiteres in die Stadt.

Doch nach einer Reihe von Wirtschaftskrisen hat Hongkong Schritt für Schritt die Grenzen geöffnet. Inzwischen ist Hongkong so beliebt, dass an so manch einem Wochenende ganze Straßenzüge wegen Überfüllung abgesperrt und Einkaufszentren geschlossen werden müssen. Immer wieder kommt es angesichts der Massen im Zentrum und an den ebenfalls völlig überfüllten Grenzübergängen zu Tumulten.

Solche Szenen wirken auf viele Taiwan-Chinesen abschreckend. Sie demonstrieren lieber.