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China will vom Russland-Boykott profitieren

 

Aus der Ukraine-Krise hat sich die chinesische Regierung bisher weitgehend herausgehalten. Bis heute gilt der Grundsatz, dass Peking sich nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischt. Deshalb hat die Führung zwar schon mehrfach zur Besonnenheit aufgerufen und bat die Konfliktparteien um Dialog, aber sie bezog nie selbst Position. Das hat sie auch gar nicht nötig. Denn wirtschaftlich könnte China schon sehr bald vom Streit zwischen Russland und dem Westen profitieren.

Die chinesischen Provinzen an der Grenze zu Russland wollen so schnell wie möglich mehr Lebensmittel nach Russland exportieren. Zwei neue Zollstationen hat die Regierung der chinesischen Grenzprovinz Heilongjiang schon genehmigt. Eine soll in der Stadt Dongning in der Nähe von Wladiwostok gebaut werden, eine weitere etwas weiter südöstlich am Grenzfluss Suifen. Zudem lässt die Provinzregierung in Dongning einen Großhandelsmarkt bauen.

Als Reaktion auf die Wirtschaftssanktionen des Westens hat die russische Regierung vergangene Woche die Einfuhr von unter anderem Fleisch, Fisch, Gemüse und Milchprodukten aus der Europäischen Union und den USA gestoppt. Vorher aber nahm sie noch Handelsgespräche mit Peking auf, und schon am 8. August unterzeichneten Peking und Moskau einen Vertrag. Er war in Rekordzeit zustande gekommen und sieht eine massive Ausweitung der Einfuhr von vor allem Fleisch, Obst und Gemüse nach Russland vor. Der Handel soll auch im Nordwesten der Volksrepublik ausgeweitet werden. China und Russland teilen sich eine mehr als 4.000 Kilometer lange Grenze.

Die englischsprachige Zeitung China Daily zitiert Branchenexperten, die davon ausgehen, dass der Lebensmittelexport von China nach Russland im laufenden Jahr um 80 Prozent zunehmen wird. Chinesische Staatsmedien versichern jedoch, eine Ausweitung des Grenzhandels sei schon vor Ausbruch der Ukraine-Krise vorgesehen gewesen. So seien schon im April höhere Nahrungsmittel-Bestellungen aus Russland bei den chinesischen Handelspartnern eingegangen.

Die Volksrepublik ist größer Agrarproduzent der Welt. Zwar muss das Land mit seinen 1,3 Milliarden Menschen auch in großem Maßstab Lebensmittel importieren, vor allem Getreide, Fleisch und Milchprodukte. Zugleich führt China aber auch sehr viele Nahrungsmittel aus. Obwohl in China regelmäßig Lebensmittelskandale bekannt werden und selbst offiziellen Zahlen zufolge fast ein Fünftel der Agrarfläche mit Schadstoffen belastet ist, ist die Volksrepublik weltgrößter Obst- und Gemüseexporteur. Insgesamt 37 Prozent der weltweiten Obst- und Gemüseproduktion kommt aus China.

Die EU-Staaten und die USA ärgern sich über den intensivierten chinesisch-russischen Grenzhandel. Westlichen Diplomatenkreisen in Peking zufolge soll es auch schon Gespräche mit der chinesischen Führung geben. Tatsächlich verfügt der Westen über Druckmittel.

Die funktionieren eher indirekt. Russland dürfte die Importe aus China in Gas und anderen Rohstoffen bezahlen wollen. Doch momentan werden die russischen Rohstoffexporte noch überwiegend in Dollar und Euro bezahlt. Zwar verfügt Russland über gewaltige Devisenreserven. Doch auch sie werden in Dollar und Euro gehalten. Der direkte Währungshandel in Yuan und Rubel ist zwar bereits vereinbart, braucht aber noch seine Zeit.

Genau an diesem Punkt könnten Europäer und Amerikaner ansetzen: Eben weil Russland derzeit bei seinen Exporten vom Dollar und Euro abhängig ist, könnte dieser Handel über Finanzaktionen gestoppt und den Russen der Geldhahn zugedreht werden. Derzeit hat China noch wenig Interesse, seine Lebensmittelausfuhren in Rubel ausgezahlt zu bekommen. Erst wenn wirklich russisches Gas nach China strömt, wird der direkte Währungshandel für Peking interessant. Das aber ist frühestens 2017 der Fall. Denn dann erst werden die ersten Pipelines stehen. EU und USA dürften vorerst noch die Oberhand haben.