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Pekings Aufruf zum autofreien Tag blieb ungehört

 

Der Wille war da. Schon Tage vorher hatte Pekings Stadtregierung in Fernsehwerbespots und auf großflächigen Plakaten die Einwohner gebeten, am Montag ihre Autos stehen zu lassen und auf Busse, U-Bahnen und Fahrräder umzusteigen. Der Aufruf verhallte quasi ungehört. Am Montagmorgen war es zur Stoßzeit gegen halb neun auf Pekings Straßen wieder so voll wie eh und je – mit Autos versteht sich.

Die Pekinger Stadtverwaltung hat eine Skala für den Verkehr erstellt: Begrenzt wird die Skala von den Werten 1 (freie Straßen) und 10 (Stillstand). Am Montagmorgen lag der Wert innerhalb Pekings zweiter Ringstraße bei 9,6. Sprich: Es gab in der Innenstadt mit dem Auto so gut wie kein Durchkommen mehr. Das ist seit einigen Jahren jeden Morgen so. Kein Wunder, angesichts der massiven Zunahme des Autoverkehrs. Schon 2008, im Jahr der Olympischen Spiele, klagten viele Pekinger über die vielen Autos in der Stadt und über die Dauerstaus. Damals gab es in der Stadt rund zwei Millionen Autos. Seitdem hat sich die Zahl mehr als verdreifacht: Nach Angaben des Pekinger Statistikamts waren im ersten Halbjahr 2014 in der Hauptstadt mehr als sechs Millionen Autos registriert.

Die Stadtregierung hat zwar längst reagiert. Seit 2011 vergibt sie über ein Losverfahren monatlich nur noch 20.000 Nummernschilder. Derzeit wartet ein Antragsteller im Schnitt sechs Jahre, bis er eine Zulassung erhält. Doch auch diese 20.000 zusätzlichen Autos im Monat muss die 25-Millionen-Stadt verkraften. Ein gewöhnliches Auto nimmt in der Regel etwa neun Quadratmeter an Stellfläche ein; Monat für Monat müssen also 180.000 Quadratmeter zusätzliche Parkplätze geschaffen werden, das entspricht 25 Fußballfeldern.

Diese Stellflächen finden sich immer weniger. Jede Großstadt der Welt dürfte Peking um seine breiten Fahrradstraßen beneiden, die Mao Zedong in den fünfziger und sechziger Jahren errichten ließ. Doch an vielen Stellen sind sie nicht mehr benutzbar, sondern zugestellt mit parkenden Autos.

Vor allem die hohe Luftverschmutzung müsste Pekings Bürger eigentlich vom Autofahren abhalten. Das tut sie aber nicht. Im Gegenteil: Wenn über Peking mal wieder eine besonders dichte Smogdecke hängt, setzen sich die Menschen erst recht ans Lenkrad statt auf den Sattel – sie wollen sich ja nicht noch mehr der vergifteten Luft aussetzen. Die meisten Autos verfügen über effiziente Luftfilter.

Aber auch der öffentliche Nahverkehr wirkt auf viele Pekinger wenig attraktiv. Zwar eröffnet derzeit keine andere Stadt so viele neue U-Bahn-Strecken wie Peking, allein bis Ende des Jahres sollen weitere 62 Kilometer hinzu kommen. Dann hat Peking mit einer Gesamtlänge von über 500 Kilometern das größte U-Bahn-Netz der Welt.

Doch die Stadtplaner begingen in den neunziger Jahren einen gravierenden Fehler. Während das ebenfalls boomende Shanghai frühzeitig die neu entstehenden Geschäftszentren mit einem dichten U-Bahn-Netz versah, setzte die Hauptstadt wie einst etwa Los Angeles auf breite Straßen für dicke Autos. Das führte dazu, dass sich die Stadt immer weiter in der Fläche ausdehnte. Das macht es heute kompliziert und teuer, im Nachhinein die urbanen Knotenpunkte mit einem unterirdischen Schienensystem zu verbinden.

Trotz massiver Investitionen in den vergangenen Jahren bleibt die Nutzung der Pekinger U-Bahn daher bis heute umständlich und zeitraubend. Wer aus einer U-Bahn aussteigt, muss häufig noch einige Kilometer laufen, bis er sein Ziel erreicht hat. Es wird noch Jahre dauern, bis dieser Kardinalfehler behoben ist und wirklich jede Ecke komfortabel mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zu erreichen ist.

Es bleibt zu hoffen, dass die Pekinger selbst das Automobil infrage stellen. Doch auch das wird dauern. Die Begeisterung für Pkw ist in China derzeit auch deshalb so groß, weil das eigene Auto für viele der Armut entronnene Chinesen Aufstieg und Mobilität bedeutet. Trotz verstopfter Straßen – den Traum vom eigenen Auto wollen sich viele erfüllen. So makaber das klingt: Smog und Stau stehen in Peking auch für Wohlstand und gefühlte Freiheit.

Diese Denke war vor nicht allzu langer Zeit auch vielen Deutschen nicht fremd.