Lesezeichen
‹ Alle Einträge

China und Japan brauchen sich

 

Es ist ein politischer Meilenstein: Am Rande des Apec-Gipfels in Peking hat Chinas Staatspräsident Xi Jinping den japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe empfangen. Seit 2012 handelt es sich um das erste formelle Treffen zwischen Repräsentanten der beiden Länder auf höchster Ebene. Der Handschlag der beiden Mächtigen soll ein Zeichen der Annäherung in dem seit Jahren tobenden Inselstreit im Ostchinesischen Meer sein.

Zuvor hatte der japanische Außenminister am Wochenende bei einem Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen den Streit um die Inseln offiziell als einen Konflikt anerkannt. Auch das ist eine Zäsur, denn aus Tokios Sicht waren die Senkaku-Inseln, die von den Chinesen als Diaoyu bezeichnet werden, bislang fester Bestandteil des japanischen Territoriums und damit nicht verhandelbar. Peking wiederum beansprucht die unbewohnten Inseln für sich. Die chinesische Führung hatte Japans Anerkennung des Inselstreits zur Vorbedingung für Regierungsgespräche gemacht.

Auf den ersten Blick kommt diese Annäherung überraschend. Doch tatsächlich brauchen sich die beiden Länder.

Japan ist nach Taiwan seit vielen Jahren der zweitwichtigste Wirtschaftspartner der Volksrepublik, trotz aller politischen Querelen. Der bilaterale Handel belief sich in den vergangenen Jahren im Durchschnitt auf rund 340 Milliarden Dollar jährlich. 23.000 japanische Unternehmen haben Hunderte Milliarden Dollar im Reich der Mitte investiert und Arbeitsplätze für elf Millionen Chinesen geschaffen.

Der Streit um die wenigen unbewohnten Inseln und die umliegenden Gewässer seit 2012 hat in beiden Ländern jedoch großen wirtschaftlichen Schaden angerichtet. Die wachsende Furcht vor einer bewaffneten Auseinandersetzung führte dazu, dass die japanischen Investitionen in der Volksrepublik allein in der ersten Hälfte 2014 um fast 50 Prozent zurückgegangen sind. Schon 2013 waren die Zahlen miserabel.

Solange die Wirtschaft in beiden Länder einigermaßen rund lief, maßen die Regierungen dem keine weitere Bedeutung bei. Doch genau das ist nun nicht mehr der Fall: Chinas Wirtschaft ist im dritten Quartal mit 7,3 Prozent so langsam gewachsen wie seit Ausbruch der Weltfinanzkrise vor fünf Jahren nicht. Japans Wirtschaft wiederum ist im zweiten Quartal auf das Jahr hochgerechnet sogar um 6,8 Prozent gefallen, das ist der stärkste Einbruch seit dem schweren Tsunami 2011. Würden Peking und Tokio den Inselstreit beilegen und wieder stärker auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit setzen, dürften beide Seiten erheblich profitieren.

Derzeit schielen die Chinesen gerne ins ferne Deutschland und preisen die hochwertigen Produkte und Maschinen Made in Germany. Insbesondere im Bereich der Umwelttechnologie hat das erheblich von Luft- und Wasserverschmutzung geschundene Riesenreich großen Bedarf. Doch China könnte ebenso gut in Japan einkaufen und bekäme dort unter Umständen sogar noch sehr viel bessere Geräte.

In der Umwelt- und Robotertechnologie sind die Japaner weltweit führend. Innovationen in der Solartechnik kommen derzeit von Sharp; das einzige Unternehmen, das derzeit Solarmodule mit einem Stromerzeugungspotenzial von 1.050 Megawatt in Serie ausliefert. Und der Prius von Toyota ist genau das, was sich Chinas Regierung auf chinesischen Straßen wünscht: Ein geräumiges und zugleich energiesparendes Hybridauto. Anders als die Elektro- und Hybridfahrzeuge der deutschen Autobauer hat sich der Prius schon seit vielen Jahren bewährt. Doch auf all das verzichteten die Chinesen bislang weitgehend – aus politischen Gründen.

Auch Japans Versuche der vergangenen Jahre, sich von Chinas Wirtschaft unabhängiger zu machen, erwiesen sich als recht kostspielig. Zwar ist es Toyota gelungen, Motoren zu entwickeln, die keine Metalle der Seltenen Erden mehr benötigen. Auf deren Abbau hatte China bis vor Kurzem noch ein Quasimonopol. Auf sie zu verzichten, machte einen Toyota-Motor aber sehr viel teurer.

Dass sich nun Chinas Staatsoberhaupt und Japans Regierungschef bereit zeigen, dem politischen Konflikt zumindest ein Stück weit weniger Bedeutung beizumessen, scheint vor allem aus wirtschaftlicher Not heraus zu erfolgen. Sollte es beiden Volkswirtschaften besser gehen, könnte das Säbelrasseln schnell wieder beginnnen.