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Der große Wassertransfer

 

Der Gedanke mag vielleicht erst einmal bestechend klingen: Der gesamte Norden Chinas leidet die meiste Zeit im Jahr unter extremer Trockenheit. Weite Teile Südchinas hingegen werden jedes Jahr durch Regen mehrfach überschwemmt. Daher hatte schon Staatsgründer Mao Zedong Anfang der 1950er Jahre die Idee, einen gigantischen Kanal zu bauen, der das viele Wasser vom Süden in den Norden leitet. Mehr als ein halbes Jahrhundert später wird es nun konkret.

Am vergangenen Freitag hat die chinesische Führung einen über 1.400 Kilometer langen Kanal eröffnet. Staatspräsident Xi Jinping sprach bei der Eröffnung von einem „großen Ereignis“ für die Modernisierung des Landes. Der Kanal ist Teil des sogenannten Süd-Nord-Wassertransferprojekts: Wasser aus dem Jangtse-Fluss wird über drei Kanäle nach Nordchina gepumpt werden. Der jetzt eröffnete Kanal ist der zentrale Abschnitt. Es verbindet das Wasserreservoir Danjiangkou in der Provinz Hubei mit der Hauptstadt Peking. Zwei weitere Abschnitte sollen folgen, im Osten soll etwa der alte Kaiserkanal reaktiviert werden. Bis 2050 sollen alle drei Kanäle jährlich rund 45 Milliarden Kubikmeter Wasser in den Norden transportieren und mehr als eine halbe Milliarde Menschen versorgen.

Die Gesamtkosten werden auf 400 Milliarden Euro geschätzt

Neben der 25-Millionen-Stadt Peking soll der jetzt eröffnete Kanal auch die Metropole Tianjin und zwei Provinzen mit jeweils 80 Millionen Einwohnern versorgen. Es ist ein Projekt der Giga-Liga. Mehr als 200.000 Arbeiter brauchten mehr als zehn Jahre für den Bau. Allein zwei 4.000 Meter lange Tunnel mussten unter dem Flussbett des Gelben Flusses gegraben werden. Bislang haben die Arbeiten umgerechnet rund 50 Milliarden Euro verschlungen. Damit ist der Kanal wohl eines der teuersten Ingenieurprojekte in der Geschichte der Menschheit.

Nicht nur wegen des großen Aufwands und der gigantischen Kosten ist das Süd-Nord-Wasserprojekt in China höchst umstritten. Umweltschützer laufen Sturm, weil durch den gigantischen Wassertransfer ganze Landschaften zerstört und dauerhaft verändert werden. Sie klagen, dass Wassersparen und effizienter Verbrauch bislang kaum Thema seien. Allein für das Danjiangkou-Reservoirs des mittleren Kanals mussten 345.000 Menschen umgesiedelt werden. Die chinesische Umweltaktivistin Dai Qing hat in der Vergangenheit mehrfach vor weiteren „dramatischen Folgen“ für Menschen und Umwelt gewarnt.

Zudem hegt sie große Zweifel am Nutzen des großen Wassertransfers. Das Wasser könnte auf dem Weg in den Norden so viele Schadstoffe aufnehmen, dass es am Ziel in Peking und Tianjin gar nicht mehr brauchbar ist.

Auch der Westabschnitt steht unter Kritik. Auf einer Länge von 450 Kilometer soll bereits am Oberlauf dem Jangtse Wasser abgezweigt werden und dann in die besonders trockenen Wüstenprovinzen Gansu, Qinghai und sogar die Innere Mongolei transportiert werden. Dieser Abschnitt ist zwar im Vergleich zu den beiden anderen Kanälen verhältnismäßig kurz. Zugleich sollen aber die Oberläufe von sechs weiteren Flüssen angezapft werden. Zu ihnen gehören auch Ströme, die in Südostasien den Mekong und in Indien den Brahmaputra mit Wasser versorgen. Die betroffenen Länder haben bereits Beschwerde eingelegt.