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In China lähmt Angst das Wachstum

 

Erst rauschen Shanghais Aktien in den Keller: Chinas wichtigstes Börsenbarometer, der Shanghai Composite Index, verlor am Montag 7,7 Prozent. Und nun verfehlt China auch noch sein selbstgestecktes Wachstumsziel. Das Bruttoinlandsprodukt legte um 7,4 Prozent zu. Die kommunistische Führung hatte mit 7,5 Prozent geplant.

Das allein wäre noch kein Grund zur Sorge, verfehlte die chinesische Regierung ihr Wachstumsziel um gerade einmal 0,1 Prozentpunkte. Besorgniserregend sind jedoch die Aussichten. Denn die Wirtschaftsflaute der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt wird sich sehr wohl fortsetzen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) senkte seine Prognose für 2015 von 7,1 Prozent auf 6,8 Prozent.

Auch diese Zahlen mögen auf den ersten Blick nicht dramatisch wirken – und gerade im Vergleich zu Europas Wirtschaftsdaten weiterhin beeindruckend klingen. Vor allem aber zwei Wachstumstreiber Chinas schwächeln: die Exportwirtschaft und die Bauindustrie.

So macht gerade die globale Konjunkturflaute insbesondere in Europa und Japan Chinas Wirtschaft zu schaffen. In den Lagerhallen stapeln sich die Waren, von gewaltigen Überkapazitäten wird berichtet. Der niedrige Euro und der ebenfalls drastisch gesunkene Wert des japanischen Yen dürften Chinas Exportwirtschaft auch 2015 zusetzen.

Auch die Binnennachfrage zieht nur kaum an. Darauf hatte Chinas Staatspräsident Xi Jinping aber gesetzt, als er vor zwei Jahren eine Umstrukturierung der Volkswirtschaft verkündete und versprach, Ausfuhren und Einfuhren ausgewogener und so die Wirtschaft insgesamt nachhaltiger und umweltschonender zu gestalten.

Die Reformen hat er tatsächlich in Angriff genommen. Doch inzwischen verunsichert der Immobilienmarkt die Anleger. Selbst in den bislang boomenden Metropolen Peking, Shanghai und Tianjin stehen viele Hochhäuser leer. Bereits begonnene Bauprojekte bleiben wegen fehlender Finanzierung unvollendet. Kaum einer traut sich mehr, zu investieren.

Immer mehr zeichnet sich ab, dass die seit fast zwei Jahren anhaltende Anti-Korruptionskampagne der chinesischen Führung inzwischen auch das Wirtschaftsleben erfasst. Seit Beginn dieser Kampagne hat die Parteispitze gegen mehr als 100.000 Beamte und Parteisekretäre Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs, Vetternwirtschaft und Vorteilsnahme aufgenommen. Viele von ihnen sind bereits bestraft. Die Folge: Derzeit traut sich in den Amtsstuben und den Staatsbetrieben kaum einer mehr, Entscheidungen zu fällen. Genaue Daten zu dieser Entwicklung gibt es keine. Aber selbst in chinesischen Regierungskreisen wird von einer „allgemeinen gesellschaftlichen Erstarrung“ berichtet.

Allerdings gibt es auch erfreuliche Nachrichten: So bleibt Chinas Arbeitsmarkt stabil. Die Arbeitslosigkeit in den Städten verharrt trotz anhaltender Landflucht bei niedrigen drei bis vier Prozent. Die Löhne sind deutlich gestiegen. Das monatliche Einkommen der rund 180 Millionen Wanderarbeiter lag 2014 im Schnitt um 9,8 Prozent höher als noch im Jahr zuvor. Die Mittelschicht wächst weiter.

Der Wirtschaftsjournalist und China-Kenner Richard McGregor weist denn auch darauf hin, dass trotz der nachlassenden Wirtschaftsdynamik China auch in den kommenden Jahren ein ökonomisches Kraftzentrum bleibt.

„Vergesst nicht“, twitterte er nach der Veröffentlichung der Daten: „Die sieben Prozent Wachstum entsprechen – wegen des Booms der vergangenen Jahre – dem Wachstum Chinas im Jahr 2007, als die Wirtschaft um zwölf Prozent wuchs.“