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Ein Paradies für Fälscher?

 

Normalerweise sind Unternehmen in China darum bemüht, es sich mit den Behörden bloß nicht zu verscherzen. Viele Vorschriften sind nur vage formuliert und der einzelne chinesische Beamte verfügt über beträchtlichen Ermessensspielraum, ob er mögliche Vergehen verfolgt oder nicht. Da ist aus Unternehmersicht Vorsicht geboten. Umso bemerkenswerter ist der derzeit öffentlich ausgetragene Schlagabtausch zwischen dem Direktor der Marktaufsicht und Alibaba – dem wertvollsten E-commerce-Unternehmen der Welt.

Chinas Staatliche Verwaltung für Industrie und Handel (SAIC) hat Mitte der Woche schwere Vorwürfe gegen Alibaba erhoben. Die Beamten werfen der Unternehmensführung vor, auf ihrer Handelsplattform Taobao nicht energisch genug gegen gefälschte Produkte vorzugehen. Die Aufsichtsbehörde sprach von „illegalen Aktivitäten“.

Taobao wies die Vorwürfe nicht nur zurück. Die Firmenleitung der Alibaba-Tochter griff den Leiter der Untersuchung, Liu Hongliang, sogar persönlich an. Der Direktor für Marktaufsicht sei „nicht objektiv“. Seine Vorgehensweise sei „emotional“ getrieben und „rufschädigend“, hieß es in einem Schreiben.

Taobao ist Chinas derzeit umsatzstärkste Handelsplattform – quasi Ebay und Amazon in einem. Millionen von chinesischen Händlern haben auf der Plattform sogenannte Taobao-Shops eingerichtet, über der sie ihre Waren anbieten. Von Kleidung, Haushaltswaren, Spielzeug über Lebensmittel bis hin zu ganzen Fertighäusern ist so ziemlich alles erhältlich, was in China selbst und auch in den meisten Teilen der Welt hergestellt wird. Allerdings wird auch jede Menge gefälschte Ware verkauft.

40 Prozent der Ware soll gefälscht sein

Wie chinesische Medien berichten, ist den Untersuchungen von SAIC zufolge weniger als 60 Prozent der auf Taobao angebotenen Ware lizensiert. Von allen überprüften Handelsplattformen würde Taobao mit Abstand am schlechtesten abschneiden, kritisiert SAIC. Auch hier wettert Taobao in einem offenen Brief zurück: Die Stichprobe sei viel zu klein. Im Vergleich zu den anderen Anbietern hätten die Inspekteure viel mehr Artikel von Taobao ausgewählt.

Die Manager des Unternehmens und auch die des Mutterkonzerns Alibaba sind sichtlich nervös. Im vergangenen Jahr ist das Unternehmen an die New Yorker Börse gegangen und hat bei den Investoren rund 25 Milliarden Dollar eingesammelt. Alibaba legte damit den größten Börsengang in der Geschichte hin.

Das 1999 gegründete Unternehmen mit seinen Plattformen Taobao, T-Mall und seinem Bezahldienst Alipay erwirtschaftet rund 80 Prozent des chinesischen Onlinehandels und setzt heute mehr um als die US-Online-Riesen Ebay und Amazon zusammen. Bei einem Kundenstamm von fast einer halben Milliarde Menschen und einen Umsatz von fast 8,5 Milliarden Dollar erwirtschaftete Alibaba im vergangenen Geschäftsjahr einen Gewinn von 3,72 Milliarden Dollar. Ebay brachte es nur auf einen Überschuss von 2,9 Milliarden Dollar, Amazon ist nicht einmal profitabel. Einen so gigantischen Börsengang wie im September rechtfertigen Alibabas Zahlen aber nicht.

Alibaba-Aktie bricht ein

Obwohl der Umsatz im nun abgelaufenen Quartal noch einmal um 40 Prozent auf 4,22 Milliarden Dollar stieg, sind die Börsianer enttäuscht. Sie hatten mit sehr viel mehr gerechnet. Im Vorquartal hatte das Wachstum noch bei über 50 Prozent gelegen. Prompt stürzte der Aktienkurs nach Bekanntgabe der Zahlen am Donnerstag um fast neun Prozent ab. Der Streit mit der chinesischen Aufsichtsbehörde dürfte den Sturz zusätzlich beschleunigt haben. Ganz offensichtlich sind die internationalen Investoren verunsichert.

Zu Recht stellt sich die Frage, warum Chinas Aufsichtsbehörde mit ihren Vorwürfen ausgerechnet zu dem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit geht, kurz bevor Alibaba seine Quartalszahlen verkündet. Denn dass Taobao seinen Aufstieg zu einem großen Teil auch dem Handel gefälschter Waren zu verdanken hat, ist in China jedem bekannt, der sich regelmäßig auf den Taobao-Webseiten tummelt. Auf vielen Artikeln steht explizit der Hinweis: „echt“. Auf anderen Waren wird diese Kennzeichnung häufig weggelassen.

Neid?

Alibaba-Chef Jack Ma selbst ist um leise Töne bemüht. Raubkopien seien kein Problem, das durch Taobao geschaffen wurde, betonte er. „Aber Taobao muss Verantwortung tragen und die Sache in Ordnung bringen“, sagte Ma. Er versprach eine 300-köpfige Arbeitsgruppe zum Kampf gegen Raubkopien.

Die Taobao-Manager hingegen haben ihre eigene Erklärung: Die Beamten der Aufsichtsbehörden hätten mitbekommen, wie viel jeder einzelne Alibaba-Mitarbeiter als Mitinhaber beim Börsengang im September verdient hat. Das habe die Beamten neidisch gemacht. Nun würden sie um sich schlagen.