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China glaubt weiter an die Entwicklungsdiktatur

 

Reformen – in westlichen Ohren klingt das Wort nach Freiheit, Liberalisierung und mehr Bürgerrechten. Doch auch wenn Chinas Premierminister Li Keqiang dieses Wort zum Abschluss des diesjährigen Volkskongresses vor Journalisten mindestens ein Dutzend Mal verwendet hat, meint er damit keineswegs eine demokratische Öffnung. Im Gegenteil: Er strebt einen Umbau der Strukturen an, der die Volksrepublik unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei zukunftstauglicher und noch stärker machen soll. Mit Erfolg, wie es aussieht.

Erst vergangene Woche hat einer der renommiertesten China-Kenner, der US-Sinologe David Shambaugh von der George Washington Universität, im Wall Street Journal die Behauptung aufgestellt, die Endphase der kommunistischen Herrschaft habe bereits eingesetzt. Die starre Haltung des Regimes erzeuge Gegendruck aus der Bevölkerung, während die Wirtschaftsreformen nicht vorankommen. Selbst die Möglichkeit, dass Chinas seit zwei Jahren amtierender Staatspräsident Xi Jinping durch einen Machtkampf oder Staatsstreich gestürzt wird, will der Professor nicht ausschließen.

Der Volkskongress hat zu seinem Abschluss am Sonntag jedoch einen völlig anderen Eindruck hinterlassen: Chinas Führung wirkt vitaler und handlungsfähiger denn je.

Zwar warnt Regierungschef Li, dass auch das bereits heruntergeschraubte Ziel von rund sieben Prozent Wachstum nicht einfach zu erreichen sei. Das ist auch kein Wunder. Bei der schieren Größe der heutigen chinesischen Volkswirtschaft ist es einfach sehr viel schwieriger, hohe Wachstumsraten zu generieren, als noch vor zehn Jahren, als China Wirtschaft in absoluten Zahlen noch sehr viel kleiner war.

Li spricht zudem von schmerzhaften Umstrukturierungen, die sicherlich nicht jedem Freude im Land bescheren werde. Doch damit meint er keineswegs die breite Masse, sondern einige wenige Bosse und Parteisekretäre von aufgeblähten Staatsunternehmen, die auch über beste Kontakte in der Staatsspitze verfügen. Li ist entschlossen, mit dieser Vetternwirtschaft aufzuräumen. Zugleich versichert er, dass die Regierung über „ziemlich viel Spielraum“ für Konjunkturhilfen verfüge und er auch jederzeit bereit sei, sie einzusetzen, falls sich das Wachstum noch weiter als erwartet verlangsamen werde.

Darüber hinaus hat Li ein Reformprogramm vorgestellt, das China keineswegs in eine Krise stürzen wird, sondern im Gegenteil: Es dürfte zumindest in den nächsten Jahren dem Land weiter zu mehr Wohlstand verhelfen. Den Menschen der armen Regionen verspricht er höhere Einnahmen – und hält sich dafür an das bewährte Rezept seiner Partei, eine Mischung aus Infrastrukturprojekten und hohen Investitionen. Das wird die Entwicklung auch der abgelegenen Regionen Chinas vorantreiben.

In den bereits entwickelten Regionen sollen hingegen private Eigeninitiative und kreative Jobs das Wachstum sichern. Die Staatsführung gibt Kontrolle über die Wirtschaft ab, verringert die Bürokratie und lässt mehr Markt zu. Nachhaltige Projekte wie eine eigene, chinesische Energiewende, die das Land endlich weg von der dreckigen Kohle bringen, runden das Langzeitprogramm ab. China ist bereits mit großem Abstand das Land mit den höchsten Investitionen in Wind- und Solarenergie.

Zugleich versucht die Führung unter Xi ihre Legitimation zu stärken, indem sie die Korruption in den eigenen Reihen angeht. Beim Volk kommt diese Kampagne gut an. Allerdings erfolgt sie bei Weitem nicht gemäß rechtsstaatlichen Prinzipien. Die KP-Spitze ist auch unter Xi nicht bereit, wirklich Macht abzugeben. Es bleibt daher höchst fragwürdig, ob es ihr ohne Transparenz, Gewaltenteilung und Pressefreiheit gelingen wird, die Korruption komplett auszurotten. Aber vielleicht reicht ihr eine Eindämmung.

So bitter das klingt: Ein Großteil der Bevölkerung fährt gut mit dieser Entwicklungsdiktatur. Sie verehrt Xi. So genau weiß das zwar keiner, aber so wie Chinas Gesellschaft derzeit beschaffen ist, besteht durchaus die Gefahr, dass bei einem Zusammenbruch das derzeitige Regime nicht durch eine Demokratie abgelöst werden würde, sondern womöglich durch eine nationalistische Militärdiktatur. Oder das Riesenreich würde in Chaos stürzen – und angesichts der inzwischen herausragenden wirtschaftlichen Rolle den Rest der Welt mitreißen.

Es bleibt zu hoffen, dass Staatschef Xi und sein Regierungschef Li von sich aus schrittweise auch politische Reformen anstoßen. Zumindest nach offizieller Lesart sieht es nicht danach aus. Aber vielleicht ist mit diesem ökonomischen Reformprogramm ein klitzekleiner Anfang gemacht.