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Apple-Optik für Chinas handybegeisterte Jugend

 

Mit voller Wucht donnern Stahlkugeln so groß wie Tennisbälle auf das Smartphone. Das Gehäuse übersteht den Aufprall. Selbst die Schläge mit einer eisernen Bratpfanne lassen das Gerät unversehrt. Was Xiaomi, der chinesische Hersteller des Geräts, mit dieser ungewöhnlichen Präsentation seines neuen Modells Mi3 in dem Werbefilm unter Beweis stellen wollte: Bei seinen Smartphones handelt es sich – entgegen des allgemeinen Rufs chinesischer Produkte – keineswegs um Billigimitate. Die Vertreter von Xiaomi wollen zeigen, dass sie qualitativ in der Liga der weltweiten Smartphone-Hersteller ganz oben mitspielen.

Was die Zahlen betrifft, tun sie das jedenfalls: Mit 60 Millionen verkauften Geräten ist Xiaomi, was übersetzt „kleines Reiskorn“ heißt, im vergangenen Jahr zum weltweit fünftgrößten Smartphone-Hersteller aufgestiegen; binnen eines Jahres hat sich der Umsatz mehr als verdoppelt. Das gerade einmal fünf Jahre alte Unternehmen hat nicht nur chinesische Konkurrenten wie Huawei, TCL und Lenovo abgehängt, sondern auch etablierte internationale Namen wie Sony, Blackberry und Microsoft hinter sich gelassen. Mit einem Wert von rund 46 Milliarden US-Dollar wird Xiaomi inzwischen sogar als das wertvollste Start-up-Unternehmen der Welt gehandelt. Der charismatische Firmengründer Lei Jun schaffte es innerhalb von drei Jahren zum Milliardär.

Der beispiellose Erfolg speist sich vor allem aus folgenden Quellen:

  • Im Gegensatz zu anderen Elektronikunternehmen hatte Lei von Beginn an den heimischen Markt im Visier. Seine Kalkulation: Wer den Markt in China anführt, hält angesichts der inzwischen enormen Kaufkraft in der Volksrepublik automatisch einen dicken Anteil vom Weltmarkt insgesamt. Anders als in den meisten entwickelten Ländern wächst der Smartphone-Absatz in China noch, jährlich um rund ein Drittel.
  • Zumindest zu Beginn war Xiaomis Zielgruppe keineswegs Chinas reiche Mittelschicht; die hat es auch in der Volksrepublik vor allem auf Geräte von Apple und Samsung abgesehen. Lei setzte vor allem auf junge Leute mit wenig Geld. Er ahnte: Sie sehnen sich nach Handys mit ähnlichen Möglichkeiten, wie sie ein iPhone bietet, können sich ein teures Apple-Gerät aber nicht leisten. Xiaomi präsentierte Smartphones mit ähnlicher Leistung für umgerechnet gerade einmal rund 100 Euro, ein Bruchteil von einem iPhone. Inzwischen sind Xiaomi-Geräte auch bei der äußerst markenbewussten chinesischen Mittelschicht beliebt.
  • Um dennoch auf eine ausreichende Gewinnmarge zu kommen, wählte Xiaomi in den ersten Jahren einen besonders günstigen Vertriebsweg: das Internet. So sparte das Unternehmen Kosten, die über den Einzelhandel entstanden wären. Für die eigentliche Herstellung der Geräte sind erfahrene Auftragshersteller wie Foxconn und Pegasus zuständig, die in großen Mengen auch die meisten Geräte für Apple, Sony und so ziemlich alle weiteren Elektronikmarken dieser Welt produzieren. Das Betriebssystem von Xiaomi-Geräten ist wiederum von Android abgeleitet. Dessen Quellcode stellt Google kostenlos zur Verfügung.
  • Ausgerechnet der Onlinevertrieb verhalf Xiaomi vor allem bei der internetaffinen jungen Generation zum Kultstatus. Die firmeneigene Webseite ist modern aufgemacht, mit dem „mi“ vor den unterschiedlichen Gerätebezeichnungen spielt Xiaomi wie Apple mit „i“. Xiaomi hat sogar firmeneigene Maskottchen, die es zum Verkauf anbietet: die sogenannten Mi-Bunnys. Das alles kommt bei der jungen chinesischen Käuferschaft sehr gut an. Hatte sich Xiaomi in seiner Anfangsphase sehr stark an erfolgreiche Vorbilder wie Apple und Samsung orientiert, ist es dem Unternehmen mittlerweile gelungen, sehr stark eigene Akzente zu setzen. Wegen der großen Nachfrage hat Xiaomi inzwischen eigene Läden eröffnet.
  • Ebenfalls zum Kultstatus dürften die glamourösen Promotion-Partys beigetragen haben, die das Pekinger Unternehmen inzwischen regelmäßig in allen Landesteilen veranstaltet und allen potenziellen Käufern offenstehen. Für viele von ihnen vor allem aus den ärmeren Käuferschichten ist es das erste Mal, überhaupt auf ein Großevent eingeladen zu werden.

Schon ist Xiaomi selbst Opfer von Produktpiraterie. Sowohl im In- als auch im Ausland finden sich täuschend echte Imitationen von Xiaomis derzeitigem Aushängeschild, dem Smartphone Mi4. Selbst in Deutschland wurden schon Mi4-Imitate gesichtet – dabei ist die Produktpalette von Xiaomi in Europa noch gar nicht erhältlich. Den Produktstart in der Türkei musste das chinesische Unternehmen im vergangenen Jahr verschieben, weil die Produktion schon im Heimatland kaum mit der Nachfrage mithalten konnte.

Die Imitate sollten Xiaomi-Gründer Lei eigentlich nicht weiter stören. Im Gegenteil: Zumindest traditionell gelten Nachahmungen in China nicht als moralisch verwerflich, sondern werden als „Ehre für den Meister“ betrachtet.