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Hongkong erstickt am Massentourismus aus China

 

Wer vor einigen Jahren mit dem Regionalzug von Hongkongs Zentrum in Richtung Norden der südchinesischen Sonderverwaltungszone gefahren ist, dürfte sich noch erinnern: Je näher der Zug dem chinesischen Festland kam, desto leerer wurde er. Denn die Bürger Hongkongs wohnen nicht gern in der Nähe zur Volksrepublik. Sie fürchten die Luftverschmutzung, die von der angrenzenden Industriemetropole Shenzhen herüberweht. Und überhaupt ist ihnen die räumliche Nähe zur Volksrepublik nicht geheuer.

Doch seit einiger Zeit ist dieser Vorortzug jedes Mal voll – egal zu welcher Uhrzeit. Der Grund sind die vielen Einkaufstouristen vom chinesischen Festland, die längst nicht nur an Wochenenden, sondern tagtäglich über das Hongkonger Stadtgebiet herfallen und die Supermärkte, Drogerien und andere Geschäfte leer kaufen. Gefragt sind vor allem Milchpulver, Lebensmittel, Kosmetika und iPhones. Das sorgt nicht nur regelmäßig für Warenengpässe, sondern treibt zugleich die Preise in die Höhe.

In den vergangenen Monaten sind mehrfach Hongkonger Bürger auf die Straße gegangen, um gegen den Touristenansturm vom Festland zu protestieren. Es kam zu teils gewalttätigen Auseinandersetzungen. Nun reagiert die chinesische Führung in Peking. Sie hat versprochen, die Zahl der Besucher vom Festland deutlich zu begrenzen. Bürger der nahegelegenen Zehn-Millionen-Stadt Shenzhen dürften ab sofort nicht mehr unbegrenzt nach Hongkong ein- und ausreisen, sondern nur noch einmal pro Woche, wie Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am Montag mitteilte.

Warum Hongkong unter Festlandchinesen als Einkaufsparadies so beliebt ist, hängt mit dem Sonderstatus der ehemaligen britischen Kronkolonie zusammen. Diese erhebt weder Umsatz- noch Servicesteuern, was dazu führt, dass viele Produkte in Hongkong günstiger sind als auf dem chinesischen Festland. Auch wird Waren in Hongkong eine bessere Qualität beschieden. Nach diversen Lebensmittelskandalen und zahlreichen Berichten über verseuchte Böden und verschmutztes Wasser trauen viele Chinesen ihren heimischen Produkten und den Lebensmittelkontrollen nicht.

Allein im vergangenen Jahr zählte Hongkong mehr als 47 Millionen Touristen vom Festland. Das entspricht fast dem Siebenfachen der dortigen Bevölkerung. Angesichts der Massen droht Hongkong an manchen Tagen regelrecht zu ersticken. Viele Hongkonger trauen sich vor allem am Wochenende und an Feiertagen nicht mehr aus dem Haus, weil die Märkte, Einkaufszentren und die Innenstadtzentren völlig überfüllt sind.

Unter der Woche wiederum verstärken vor allem professionelle Schmuggler den Warenengpass: Rund 20.000 Festlandchinesen aus Shenzhen passieren derzeit gleich mehrfach am Tag die Grenze nach Hongkong, leeren die Regale und kehren mit vollbepackten Säcken zurück, wo sie die Ware zu einem höheren Preis auf den Märkten in Shenzhen verkaufen.

Doch nicht nur die Geschäfte in Hongkong sind oft leergekauft. Auch die Geburtskliniken sind voll von hochschwangeren Frauen aus der Volksrepublik: Denn wer in der südchinesischen Sonderverwaltungszone zur Welt kommt, erhält automatisch einen Hongkonger Pass. Der ist unter Festlandchinesen sehr gefragt.

Hongkongs Führung zeigt sich zwar besorgt über den zunehmenden Hass ihrer Bürger auf die Einkaufstouristen vom Festland. Doch auf die Einnahmen will sie auch künftig nicht verzichten. Derzeit ist sie daher dabei, direkt an den Grenzübergängen gigantische Einkaufs- und Outletzentren zu errichten. Das soll zumindest den Ansturm auf Hongkongs Innenstadtzentren lindern.