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Chinas kalte Schulter

 

Theoretisch könnten sich beide Länder gut ergänzen. China kann Straßen, Häfen und Schienen für Hochgeschwindigkeitszüge bauen, ein wirtschaftlich erfolgreiches Land. Indien wiederum ist seit vielen Jahrzehnten die größte Demokratie der Welt und könnte der Volksrepublik in Sachen Zivilgesellschaft sehr viel Nachhilfe erteilen.

Drei Tage lang ist der indische Premierminister Narendra Modi zurzeit in China zu Besuch. Und die Hoffnungen sind groß, dass die zwei bevölkerungsreichsten Länder der Welt nach Jahrzehnten der Feindschaft aufeinander zugehen. Auf den ersten Blick sind die Voraussetzungen besser denn je.

Zwar sorgen die andauernden Grenzkonflikte auch weiter für Zündstoff. Doch von indischer Seite sind inzwischen auch andere Töne zu vernehmen. So ging Modi im vergangenen Jahr mit dem Versprechen in die Wahlen, die Wirtschaft voranzubringen. Er machte sogar den Vorschlag, von Chinas Wirtschaftsmodell zu lernen. Das war eine Sensation. Noch nie hatte es ein indischer Spitzenpolitiker gewagt, dem nördlichen Rivalen so viel Sympathie entgegenzubringen. Für indische Verhältnisse ist er damit der mit Abstand China-freundlichste Spitzenpolitiker.

Tatsächlich aber sind seine Versprechen reines Wunschdenken. Noch vor 30 Jahren waren beide Staaten wirtschaftlich etwa gleich stark. Doch seitdem hat China sein Nachbarland wirtschaftlich, technologisch und bei der Armutsbekämpfung so sehr abgehängt, dass die Chinesen inzwischen nur noch naserümpfend auf die Inder blicken. Mittlerweile ist Chinas Volkswirtschaft mehr als vier Mal so groß wie die indische.

Dieser Unterschied zeigt sich vor allem im Handel. Das Handelsvolumen zwischen China und Indien ist zwar in den vergangenen Jahren auf mehr als 70 Milliarden US-Dollar gestiegen und soll noch in diesem Jahr die 100-Milliarden-Dollar-Grenze überschreiten. Doch die Verhältnisse sind klar: China exportiert, Indien importiert. Im Jahr 2001 lag Indiens Handelsdefizit gegenüber China noch bei rund einer Milliarde Dollar. Inzwischen sind es fast 40 Milliarden Dollar.

An diesem Ungleichgewicht wird sich auch vorerst wenig ändern. Chinesen haben überhaupt kein Interesse an indischen Produkten. Rohstoffe kann China mit seinem professionell ausgebauten Handelsnetz längst aus aller Welt beziehen. Und Indiens viel gelobte Softwareindustrie hat ebenfalls keine Chancen. Digitales können die Chinesen längst selbst. Wie sehr sich die beiden Staaten unterscheiden, hat jüngst das Wall Street Journal aufbereitet.

Chinas lässt seine Überlegenheit Indien spüren. In seinen Plänen für eine „Neue Seidenstraße“, welche die antiken Handelswege zwischen dem Reich der Mitte und Europa wiederbeleben soll, werden indische Städte erst gar nicht einplant. Indien wiederum reagiert darauf mit Ablehnung: Aus Furcht vor Chinas Dominanz wollen die Inder nicht mitmachen.

Indiens einziges Exportgut könnte die Demokratie sein. Doch daran ist Chinas Führung nicht einmal in Ansätzen interessiert. Im Gegenteil: Chinas Staatsmedien lassen keine Gelegenheit aus, Indiens politisches System als abschreckendes Beispiel für Misswirtschaft zu nennen. Solange es Premier Modi nicht gelingt, die Armut im eigenen Land sichtlich einzudämmen, wird Chinas Propaganda das weiter thematisieren.