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Blauer Himmel über Peking

 

Noch vor Kurzem überwogen aus Peking Berichte über die miserable Luft. Von „Airpokalypse“ oder „Airmaggedon“ war die Rede, wenn wegen Chinas Kohleverbrennung und den vielen Autoabgasen die Feinstaubwerte mal wieder gefährlich in die Höhe schnellten und dichter Smog den Menschen die Luft zum Atmen nahm. Fiese Smog-Tage wird es in der chinesischen Hauptstadt sicherlich auch künftig noch geben.

Doch zumindest seit einigen Wochen zeigen die Luftqualitäts-Apps auf den Smartphones fast jeden Tag moderate bis gute Feinstaubwerte an. Kinder spielen in den Innenhöfen, die Straßencafés sind voll, selbst Jogger sind derzeit auf Pekings Straßen zu sehen. Und während noch vor einem Jahr die Wolkenkratzer der chinesischen Hauptstadt die meiste Zeit von einer dichten Smogdecke verhüllt waren, sind in diesen Tagen vom Stadtzentrum aus sogar die rund 30 Kilometer entfernten Westberge zu erkennen. Der Pekinger Himmel zeigt sich seit Wochen an den meisten Tagen in strahlendem Blau.

Was viele Pekinger bislang nur vermutet haben, wird nun auch mit Zahlen belegt. Die Belastung mit den krebserregenden Feinstaubpartikeln ist nach Angaben der Umweltschutzorganisation Greenpeace in den ersten vier Monaten dieses Jahres in Peking um 13 Prozent zurückgegangen. In der besonders industriereichen umliegenden Provinz Hebei hat sich die Luftqualität sogar um rund 30 Prozent verbessert. Das übertrifft die kühnsten Erwartungen. Noch vor einem Jahr waren sich die Experten einig, dass China zwar jede Menge gegen die Luftverschmutzung unternehme, es spürbare Verbesserungen aber erst in einigen Jahren geben werde.

Diese Entwicklung kommt auch dem Weltklima zugute. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sank Chinas Ausstoß von Treibhausgasen Greenpeace zufolge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fünf Prozent. Der Kohleverbrauch ging sogar um mehr als acht Prozent zurück. In absoluten Mengen hat China vier Mal so viel eingespart, wie Großbritannien verbraucht. Greenpeace hat die Werte aus offiziellen Daten der chinesischen Behörden abgeleitet.

Chinas Kohleindustrie ist seit Jahren weltgrößter Emittent von klimaschädlichen Treibhausgasen. Sie ist zugleich Verursacher des gefährlichen Smogs, der sich seit Jahren regelmäßig über weite Teile Chinas legt. Unter ihm leiden mehr als 800 Millionen Menschen. In den besonders übel betroffenen Kohleprovinzen im chinesischen Binnenland gibt es Kinder, die noch nie in ihrem Leben weiße Wolken gesehen haben. Rund zwei Drittel der chinesischen Energie wird aus der Kohleverbrennung gewonnen.

Doch seitdem die chinesische Führung vor zwei Jahren die Luftverschmutzung offiziell als Problem anerkannte und der nun amtierende Premierminister Li Keqiang den Umwelt- und Klimaschutz zu einem zentralen Anliegen seiner Politik erklärte, hat sich eine Menge getan. So hat China allein im vergangenen Jahr mit rund zwölf Gigawatt dreimal so viele neue Solaranlagen errichtet wie im Jahr zuvor und damit so viel wie kein anderes Land. Und auch der Ausbau der Windenergie kann sich sehen lassen: Mit 18 zusätzlich installierten Gigawatt im vergangenen Jahr kommt China auf insgesamt 115 Gigawatt Windkapazität. Das ist mehr Leistung als alle US-Atomkraftwerke zusammen erbringen.

Sehr viel mehr Auswirkungen auf die Luftqualität dürften die Fabrikschließungen der vergangenen zwei Jahre haben. Allein in der Provinz Hebei mussten in den vergangenen zwei Jahren mehr als 8.000 Fabriken ihre Pforten schließen, in Peking waren es rund 500.

Kritiker monieren, diese Maßnahmen dienten vor allem dazu, die Hauptstadt Peking vom Smog zu befreien. In anderen Landesteilen hingegen würden neue Fabriken und Kraftwerke errichtet, das Smog-Probleme werde also lediglich verlagert. An dieser Kritik ist durchaus was dran, zumal viele der strengeren Kontrollen derzeit nur in den Küstenregionen angewandt werden, in den unterentwickelten Binnenprovinzen noch nicht.

Doch Experten von Greenpeace zeigen sich zuversichtlich: Die neu errichteten Kraftwerke seien sehr viel effizienter, sagen sie. Und auch die Industrie verändere sich: Nicht mehr energieintensive Schwerindustrie würde in den Provinzen geschaffen, sondern sehr viel saubere Produktionsstätten im Elektronikbereich und Chemiesektor.

Chinas Fortschritte dürften auch für Gesprächsstoff bei den derzeitigen Vorverhandlungen zum UN-Klimagipfel sorgen, der Ende des Jahres in Paris stattfinden wird. Noch in diesem Monat will die chinesische Führung ihren nationalen Plan zum Klimaschutz einreichen. Dann wird sich zeigen, ob die chinesische Delegation noch wie beim Gipfel 2009 in Kopenhagen als Sündenbock in der Ecke sitzen, oder in Paris womöglich zu den treibenden Kräften der Weltgemeinschaft gehören wird.