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Chinas Aktienmarkt bleibt ein Kasino

 

Zumindest die ökonomischen Daten rechtfertigen eine solche Kursrally nicht. Nach einem Jahrzehnte anhaltenden Boom kühlt das Wachstum in der Volksrepublik immer weiter ab. Die Firmengewinne gehen zurück. Die Regierung strebt in diesem Jahr nur noch ein Plus von 7 Prozent an, so wenig wie seit einem Vierteljahrhundert nicht. Und auch die Verbraucherpreise sind im Mai im Jahresvergleich um mickrige 1,2 Prozent gestiegen. Erwartet hatten Analysten eine Inflation von mindestens 1,5 Prozent. Trotzdem schießen Chinas Aktienmärkte immer weiter in die Höhe.

Allein der Shanghai Composite, der wichtigste Börsenplatz auf Chinas Festland, hat seit Wochenbeginn um rund weitere zwei Prozent zugelegt. Diesem Zuwachs geht eine seit einem Jahr anhaltende Hausse voran. Innerhalb eines Jahres legte der Shanghai Composite um mehr als 150 Prozent zu und damit so rasant wie kein anderer Aktienmarkt auf der Welt. Seit Jahresbeginn hat er um fast 60 Prozent an Wert gewonnen.

Dieser Börsenrausch lässt derzeit kaum einen Chinesen kalt. Von der Kioskbesitzerin, dem Taxifahrer, dem Friseur bis hin zum Millionär – sie alle mischen derzeit kräftig an den Aktienmärkten mit. Jeder scheint derzeit jemanden zu kennen, der in den vergangenen Monaten mit lediglich ein paar Mausklicks einen Haufen Geld gemacht hat.

Der Boom an den Börsenplätzen ist politisch gewollt. Für viele Chinesen gibt es nach wie vor nur wenige Anlagemöglichkeiten. Die chinesische Führung hat zwar zahlreiche Reformen zugesagt und eine leichte Liberalisierung in der Zinspolitik ist auch schon erfolgt. Doch den Finanzsektor komplett den freien Märkten überlassen will sie auch weiter nicht. Das schränkt Anleger ein.

Zugleich aber steigt vor allem das private Vermögen der Bürger immer weiter. Es lag 2012 bei umgerechnet rund zwölf Billionen Euro und dürfte im vergangenen Jahr nach Angaben des Global Wealth Report der Credit Suisse auf über 20 Billionen gestiegen sein.

Immobilien sind nicht mehr attraktiv

Viel Geld ist in den vergangenen Jahren in den Immobilienmarkt geflossen. Die Preise für Wohnungen und Häuser sind daraufhin raketenhaft in die Höhe geschossen und blähten den gesamten Sektor massiv auf. Das ist seit dem vergangenen Jahr vorbei. Ein Überangebot an Wohnungen hat dazu geführt, dass die Preise in den meisten Städten seitdem gefallen sind. Als Geldanlage sind Immobilien damit nicht mehr attraktiv.

Zugleich haben sich Chinas Lokal- und Provinzregierungen in den vergangenen Jahren massiv verschuldet. Die Banken drohen auf diesen Schulden sitzen zu bleiben und halten sich mit Investitionen zurück. Die private Sparquote in China ist hingegen sehr hoch. Sie liegt im Schnitt bei über 45 Prozent. Kombiniert mit einer lockeren Geldpolitik versucht die chinesische Zentralbank, die der Führung unmittelbar unterstellt ist, dieses Privatvermögen in den Wirtschaftskreislauf zu führen – und lockt nun ihre Bürger an die Aktienmärkte.

Mit Erfolg: Analysten zufolge wurden in den vergangenen Wochen bis zu 170.000 neue Depots eröffnet – pro Tag. Was die Depot für Börsenneulinge so attraktiv macht: Anleger dürfen von Anfang an mit geliehenem Geld spekulieren. Das hat die chinesischen Aktienmärkte entsprechend befeuert. Inzwischen hat die Zentralbank zwar angekündigt, die Kreditvergabe wieder einzuschränken – was Ende Mai für kurze Zeit prompt einen Kurssturz auslöste. Doch die Chinesen sind längst auf den Geschmack gekommen. Sie spekulieren munter weiter.

Stabilisierend sind diese Maßnahmen für den chinesischen Finanzsektor nicht. Im Gegenteil: Kaum einer setzt auf eine langfristige Investition, sondern die meisten warten bloß auf neue Spitzenwerte, um dann schleunig zu verkaufen und den Gewinn mitzunehmen. Das ist an anderen Börsenplätzen auf der Welt zwar nicht grundsätzlich anders. Doch was in China bislang fehlt: Anleger wie Versicherungen und Fonds-Betreiber, die auf ein langfristiges Engagement setzen. Sie stabilisieren in der Regel die Märkte. Weil sie in China aber fehlen, sind die Börsen dort derzeit das reinste Kasino.