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Peking soll Monstermetropole werden

 

Wer sich noch an Peking vor 25 Jahren erinnert, dem wird die Stadt von damals im Vergleich zu heute wie ein Dorf vorkommen. Zwar zählte die chinesische Hauptstadt schon da knapp sechs Millionen Einwohner. Doch nicht weit über den dritten Ring hinaus hörte das urbane Stadtgebiet schon auf. Dahinter gab es nur noch Felder, landwirtschaftliche Betriebe und vereinzelt ein paar Siedlungen und Fabriken. Heute zählt der Ballungsraum mehr als 20 Millionen Einwohner, riesige Hochhaussiedlungen erstrecken sich bis zum sechsten Ring.

Und dabei soll es nicht bleiben. Geht es nach dem Willen der chinesischen Führung, wird Peking in den nächsten Jahren mit der benachbarten Hafenmetropole Tianjin und der umliegenden Provinz Hebei zu einem gigantischen Ballungsraum zusammenwachsen. Jingjinji soll die Megametropole heißen (von Beijing, Tianjin und Ji, dem traditionellen Namen der Provinz Hebei) und auf fast 215.000 Quadratkilometer – das ist fast die doppelte Fläche der früheren DDR – 130 Millionen Einwohner zählen. Das entspricht der Bevölkerung von Deutschland, Schweiz, Österreich und Polen zusammen.

Der Prozess ist bereits in vollem Gange. Um das dichte und von Autos völlig verstopfte Zentrum zu entlasten, hat die Pekinger Stadtverwaltung in diesem Monat beschlossen, sämtliche ihrer Verwaltungseinheiten nach Tongzhou zu verlegen, bislang ein ländlicher Vorort im Südosten der Hauptstadt. Auch Firmensitze, Krankenhäuser, Universitäten werden verstärkt ins Umland verlegt. Pekings neuer Flughafen mit sieben Start- und Landebahnen, der bei seiner Vollendung ab 2017 mehr als 120 Millionen Passagiere im Jahr abfertigen soll, entsteht ebenfalls – mit Blick auf Jingjinji sehr weit draußen vom derzeitigen Pekinger Stadtzentrum entfernt auf einem Gebiet, das bereits zur Provinz Hebei gehört. Und kurz vor der Vollendung steht der siebte Ring. Er ist fast 1.000 Kilometer lang.

Jingjinji ist für China kein Novum – auch noch als Ballungsraum dieser Dimension. Das Perlflussdelta im Süden des Landes mit den Metropolen Shenzhen, Guangzhou und der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong wächst zu einer Metropolregion zusammen und zählt bereits rund 40 Millionen Einwohner. Auch das Jangtse-Delta zwischen Shanghai und den umliegenden Großstädten Suzhou, Hangzhou, Wuxi bis hinauf nach Nanjing ist ein riesiger Ballungsraum mit Tausenden von Hochhaussiedlungen und Industrieanlagen, verbunden über achtspurige Autobahnen und moderne Schienen für Hochgeschwindigkeitszüge. Das Jangtse-Delta zählt bereits um die 100 Millionen Einwohner.

Mit diesen beiden Ballungsräumen will die Hauptstadt Peking mithalten. Das wird mit Jingjinji gelingen. Neben Peking und der 13 Millionen Einwohner zählenden Hafenmetropole Tianjin gibt es im Umland mit Baoding und Shijiazhuang zwei weitere Zehnmillionen-Städte. Die umliegenden Städte Tangshan und Cangzhou zählen rund sieben Millionen Einwohner, Lancang, Chengde und Zhangjiakou jeweils vier Millionen. Zusammengenommen leben in dieser Region bereits mehr als 80 Millionen Menschen.

Bislang werden diese Städte weitgehend unabhängig voneinander verwaltet. Um aber zu einem Raum zusammenzuwachsen, muss ein umfassendes Verkehrssystem sie untereinander verbinden. Nur zwischen Tianjin und Peking verkehrt bereits ein Hochgeschwindigkeitszug, der alle zehn Minuten fährt und für die rund 150 Kilometer eine halbe Stunde braucht. Die Faustregel der Stadtplaner sagt: Der mögliche Durchmesser von Ballungsräumen ist auch bei Nutzung schneller Lokalbahnen auf ungefähr 100 Kilometer begrenzt, da die Fahrt von einem Punkt zum anderen nicht länger als eine Stunde dauern sollte.

Genau hier stoßen die meisten existierenden Ballungsregionen dieser Welt an ihre Grenzen: Sie werden zu groß für ihre öffentlichen Verkehrsmittel; die Fahrzeit zwischen zwei Punkten dauert zu lange.

Die chinesische Führung glaubt, dieses Problem mit ihren modernen Hochgeschwindigkeitszügen lösen zu können – der Radius der Metropole ließe sich auf 500 Kilometer und mehr ausweiten. Ein kühner Plan: Schließlich ist es etwas anderes, alle paar Kilometer einen Großbahnhof für Hochgeschwindigkeitszüge ins Stadtgebiet zu setzen als eine S-Bahn-Station. Sehr viel wahrscheinlicher wird Jingjinji einfach nur das, was weite Teile Chinas jetzt schon sind: eine dichte Ansammlung von Millionenstädten.