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Chinas geschickter Umgang mit dem Freihandel

 

Deutsche Unternehmer und ihre Lobbyisten machen es sich mit ihrer Argumentation zuweilen ganz schön einfach. Solange Chinas Wirtschaft boomte, wurde das Land für seine scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten gefeiert. Das Interesse an der von der Finanzkrise geplagten USA hingegen ging drastisch zurück. Nun hat sich die USA wirtschaftlich erholt und mit der chinesischen Wirtschaft läuft es nicht mehr ganz so rund. Auf einmal stellt China das „größte Risiko“ dar. Das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP mit den USA hingegen wird nun als Heilsbringer gepriesen.

Doch nicht nur Deutschlands angeblich allzu enge wirtschaftliche Abhängigkeit von China wird zur Abschreckung herangezogen, warum das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP so dringend benötigt werde. Ein weiteres gern angeführtes Argument der TTIP-Anhänger: Wenn Europa und die USA keine gemeinsamen globalen Standards setzten, dann drohten es die Chinesen zu tun. Dabei geht die Volksrepublik bloß mit gutem Beispiel voran und macht vor, wie viel Freihandel einem Land gut tut und an welcher Stelle ein allzu rascher Abbau von Zöllen und Handelsbeschränkungen einer Volkswirtschaft schadet.

Grundsätzlich sind die Chinesen dem Freihandel gegenüber positiv eingestellt. Chinas Beitritt bei der Welthandelsorganisation (WTO) 2001 hatte dem Land überhaupt erst den entscheidenden Schub gegeben, zur größten Exportnation und zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufzusteigen. Der Beitritt erfolgte jedoch keineswegs unter der Bedingung des bedingungslos freien Warenverkehrs. Zum Schutz etwa der heimischen Textilwirtschaft vor chinesischen Billigtextilunternehmen erhoben einige Industriestaaten auch weiter Schutzzölle auf chinesische Waren. Sie wurden erst 2008 abgeschafft.

Die Chinesen wiederum nahmen sich ihrerseits das Recht heraus, in einer Reihe von Branchen ihre Märkte vor den überlegenen Industrieländern zu schützen. Das betrifft bis heute vor allem den Finanzsektor, ebenso jedoch die Stahlindustrie, den Telekommunikationssektor und große Teile der IT-Industrie.

Für ein sich noch entwickelndes Land wie China, das ohne die Abschottung seiner Märkte in vielen Bereichen mit den Industrieländern nicht hätte mithalten können, war das genau der richtige Weg. Denn beim Freihandel gilt generell: Es profitieren vor allem die Länder, deren Branchen auf den Weltmärkten ohnehin schon stark sind. Ohne Schutzzölle hingegen ist es für Entwicklungsländer äußerst schwierig, eigene Industrien aufzubauen, die mit den etablierten Unternehmen der Industrieländer mithalten können. Wirtschaftsexpertin Ulrike Herrmann weist in der taz denn auch darauf hin, dass auch die Industrieländer keineswegs über den Freihandel stark geworden sind, sondern im Gegenteil: Länder wie die USA etwa bauten ihre Zölle erst ab, nachdem sie in vielen Bereichen zum Weltmarktführer aufgestiegen waren.

Mit seinen 1,38 Milliarden Menschen hat China freilich den Vorteil, über einen gigantischen Binnenmarkt zu verfügen. Das begünstigt den Aufbau eigener Industrien. Ab einer bestimmten Größe sind sie so kosteneffizient, dass sie mit der Ware aus den Industrieländern mithalten können. Über einen solchen Vorteil verfügen kleine Volkswirtschaften nicht.

Zugleich hat es die chinesische Führung aber frühzeitig verstanden, ihre Märkte nur so weit zu öffnen, dass der Nutzen für das Land überwiegt. Um eine eigene Industrie aufzubauen, brauchte China lange Zeit das technische Wissen der ausländischen Unternehmen. Mit einem allzu abgeschotteten Markt hätten es die Chinesen nicht zum Exportweltmeister gebracht. Doch werden ausländische Firmen in China zu stark und drohen die heimische Konkurrenz zu verdrängen, weiß die Führung jederzeit gegenzusteuern.

Während die Verhandlungen zwischen den USA und der EU um TTIP noch laufen, ist es Washington vor wenigen Tagen gelungen, mit elf Pazifik-Anrainerstaaten die sogenannte Trans-Pacific Partnership (TPP) zu vereinbaren. Neben den Wirtschaftsmächten USA und Japan umfasst die Freihandelszone auch Australien, Brunei, Kanada, Chile, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam. Zusammen stehen diese Länder für rund 40 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Vor allem auf Betreiben von Japan aber ist China nicht dabei.

Schlimm findet die chinesische Führung diesen Ausschluss nicht. Zum Schutz der eigenen Industrie hat sie es nicht eilig, sämtliche Handelshindernisse jetzt schon fallen zu lassen. Zugleich weiß sie: Um eine so gigantische Volkswirtschaft wie China kommt eh kein Land mehr herum.