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Politik bringt Pendler auf Pedelecs

 

Pedelecs sind immer noch eine recht junge Fahrzeuggattung. Zwar hat die ältere Generation die Räder mit eingebautem Rückenwind relativ schnell für sich entdeckt, aber Pendler, für die Elektrofahrräder eigentlich prädestiniert sind, steigen immer noch eher schleppend um. Die Berliner Senatsverwaltung will mit ihrem Projekt Pedelec-Korridor nun etwas nachhelfen.

Rund 250.000 Arbeitnehmer pendeln täglich vom Berliner Umland in die Hauptstadt und umgekehrt. 140.000 von ihnen fahren mit dem Auto – das entspricht in etwa der Bevölkerung Würzburgs. Experten gehen davon aus, dass fünf Prozent der 140.000 Autofahrer, also rund 7.000, auf Pedelecs umsteigen könnten. Theoretisch, denn in der Praxis ist das gar nicht so einfach.

Laut Fahrrad-Monitor 2013 haben gerade mal zwölf Prozent der Befragten überhaupt schon mal auf einem Pedelec gesessen. Die zentrale Aufgabe ist also, die möglichen Nutzer mit dem Elektrofahrzeug überhaupt erst vertraut zu machen.

Das versucht die Berliner Senatsverwaltung nun im Rahmen des Projekts Pedelec-Korridor. Arbeitgeber entlang der Strecke zwischen Berlin-Steglitz und dem Speckgürtel im Südwesten können für ihre Mitarbeiter in den kommenden Monaten bis zu 120 Pedelecs für etwa zehn Wochen ordern. Der Zeitraum sei absichtlich so lang gewählt, sagt Martina Hertel vom Deutschen Institut für Urbanistik, das am Projekt beteiligt ist. Nur so würden die Fahrer einen realistischen Eindruck erhalten, ob und wie sie das Pedelec für ihre Alltagswege nutzen.

Pedelec fahren an sich macht Spaß. Soll es jedoch als Pendlerfahrzeug verwendet werden, muss auch die Infrastruktur zum Fahren und Abstellen passen. Wer vom Auto aufs Elektrorad umsteigt, möchte zügig unterwegs sein. Das geht auf breiten, gepflegten Wegen. Zudem möchten sich die Fahrer erwünscht fühlen – auf der Straße ebenso wie auf dem Radweg. Das Planungsbüro Spath + Nagel hat bereits mögliche Pedelec-Routen von Steglitz ins südliche Brandenburg ermittelt; man kann sie hier (Seite 25 bis 28) auf der Karte sehen.

Allerdings wird die Infrastruktur im Rahmen des Projekts zuerst nur an den offensichtlichsten Schwachstellen ausgebessert. Das habe einen guten Grund, sagt Hermann Blümel, Initiator und Leiter des Projekts bei der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt: „Die Erfahrungen der Testfahrer sollen in die Planungen zur Verbesserung der Infrastruktur einfließen“, sagt er. In Workshops, Interviews und Onlineumfragen werden die Fahrer und Fahrerinnen über ihre Gewohnheiten und Erlebnisse berichten. So erfahren die Projektbegleiter genau, wo, wie und warum die Testfahrer unterwegs sind. Ihre Aussagen sowie die Erkenntnisse der Berliner Unfallkommission sind ausschlaggebend für die weiteren Infrastrukturmaßnahmen.

Der Pedelec-Korridor ist ein Demoprojekt. Hier werden exemplarisch Möglichkeiten ausprobiert, um später in Berlin und Umgebung die erfolgreichsten Modelle umzusetzen.

Göttingen baut schon am e-Radschnellweg

Göttingen ist der Hauptstadt schon einige Schritte voraus. Die Stadt im Süden Niedersachsens hat im vergangenem Herbst den ersten Abschnitt ihres e-Radschnellwegs eingeweiht. Er führt auf gut zwei Kilometern vom Nord-Campus der Uni fast bis zur Innenstadt. Auf ihm sollen Pedelec-Pendler zügig zu ihrem Arbeitsplatz gelangen.

Dafür wurde in erster Linie die vorhandene Infrastruktur verbessert. Der Weg wurde auf zweieinhalb bis vier Meter verbreitert, der Belag erneuert und die Übergänge zur Straße so weit abgesenkt, dass die Fläche möglichst eben wurde. Radfahrer sollen zügig fahren und langsamere Radfahrer problemlos überholen können. Zudem gibt es nun einige Zählstationen, die ab einer bestimmten Radfahrerdichte die Grünphasen an den Ampeln erweitern. Im Winter soll ein Räumdienst die Wege freiräumen. Er ist unabhängig vom Straßenräumdienst für die Autos unterwegs.

Der zweite Bauabschnitt zwischen Bahnhof und Innenstadt ist laut Krieger noch in Planung. Anfang 2015 soll der insgesamt vier Kilometer lange e-Radschnellweg fertig sein.

Gegenüber Berlin hat Göttingen einen entscheidenden Vorteil: Am Bahnhof existiert bereits ein Fahrradparkhaus und damit eine sichere und angemessene Abstellmöglichkeit für Pedelecs nebst Ladestationen. Eine weitere zentrale Aufgabe des Berliner Projekts ist nämlich, geeignete Parkmöglichkeiten für Pedelecs zu ermitteln und bereitzustellen. Dabei reicht die Bandbreite der Ideen von Pedelec-Boxen bis hin zu kleinen Fahrradparkhäusern.

Mit einem Budget von 1,4 Millionen Euro ist der finanzielle Spielraum des Berliner Projekts zwar ziemlich überschaubar, aber es ist laut Blümel das finanziell stärkste Demoprojekt des Landes Berlin zur Elektromobilität.

Erfahrungen teilen

Beide Projekte zeigen mit ihren unterschiedlichen Ansätzen eines: Elektrofahrräder sind eine junge Fahrzeuggattung, ihre Einsatzmöglichkeiten im Alltagsverkehr sind in seiner Gänze noch lange nicht vollständig absehbar. Wie in Berlin und Göttingen ploppen momentan in vielen Kommunen Ideen und Modellprojekte hoch, um mit unterschiedlichen Methoden Pendler oder auch Lasten auf Pedelecs zu bringen.

Das perfekte Modell wird es in den kommenden Jahren nicht geben. Dafür ist selbst in der Entwicklung der Räder noch viel zu viel Bewegung: mit neuen Designs für neue Zielgruppen sowie Motoren und Akkus, die individueller und leistungsstärker sind.

Der Berliner Ansatz, die Vorlieben der Radfahrer nach der Testphase aufzugreifen und umzusetzen statt ihnen den Weg vorzugeben, ist zeitgemäß. Er greift einen weiteren Trend auf: das Teilen. In diesem Fall nicht einen Gegenstand wie das Auto oder Fahrrad, sondern die Erfahrung der Fahrer.