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Mit dem Handbike zurück in die Berge

 

© Simon Toplak
Felix Brunner auf seinem Handbike-Trike in Colorado © Simon Toplak

Dass jemand auf einer Mountainbike-Strecke die Alpen überquert, ist zunächst mal nicht ganz ungewöhnlich. Außer er ist körperbehindert, wie Felix Brunner. Er fuhr im vergangenen Jahr als erster Rollstuhlfahrer auf MTB-Trails über die Alpen. Sein Verkehrsmittel war ein Offroad-Handbike-Trike, also ein geländetaugliches Dreirad, das allein mit den Armen angetrieben wird. In diesem Jahr war der 24-Jährige mit dem Rad in Colorado unterwegs.

Für Brunner ist das Handbike ein Vehikel, um dorthin zu gelangen, wo er hin will: zurück in die Berge, zurück zum Sport. Die Berge waren immer sein Terrain. Er ist im Allgäu aufgewachsen, gerade zwei Kilometer von den Bergen entfernt, und war dort seit seiner Kindheit mit den Eltern zu Fuß und mit dem Mountainbike unterwegs. Mit 16 Jahren gehörte Felix Brunner bereits zu den Bergrettern in Füssen.

Doch drei Jahre später hatte er auf dem Rückweg von einer Eisklettertour mit Freunden einen folgenschweren Unfall. Den Kletter-Teil hatten sie bereits hinter sich, die drei Freunde liefen auf einem Wanderweg zurück ins Tal. Ob er ausrutschte oder umknickte, weiß Brunner nicht mehr. Er stürzte, schlug mehrmals auf und blieb 30 Meter tiefer schwerverletzt in einem Bachbett liegen. Die 13 Monate danach waren eine Odyssee: Er lag im Koma, auf der Intensivstation, mehrmals gaben die Ärzte ihn auf. Brunner bekam mehrere hundert Bluttransfusionen. Als Pflegefall kam er schließlich nach Hause.

Brunners Rad, ein Einzelstück

2012 fuhr Brunner mit einem Freund an den Gardasee – zum Radfahren, drei Jahre nach dem Unfall und anderthalb Jahre nach der Reha. Brunner fuhr ein Handbike-Trike, das er in Amerika bestellt hatte, sein Freund ein Mountainbike. „Ich konnte Autofahren und mich selbstständig im Rolli bewegen“, sagt Brunner. „Ansonsten war ich absolut unfit.“ 400 Meter auf einer Schotterpiste eine Steigung hinauf zu fahren war unmöglich. Seinen Kumpel störte das nicht: „Dann ziehe ich dich halt“, sagte er laut Brunner. Er band ein Seil am Handbike fest und zog Brunner hoch. Am Gardasee bewältigten die beiden eine Tour mit 600 Höhenmetern Differenz. „Irgendwann ist dann abends beim Bier die Schnapsidee zu der Tour ‚Von der Transfusion zur Transalp‘ entstanden“, erzählt Brunner.

Ihm gefiel die Idee und er fing an zu trainieren – im Kraftraum und mit seinem Rad rund um Füssen. Sein Rad ließ er von seinem Freund und Fahrradschrauber David Unhoch von Needful Bikes optimal auf seine Bedürfnisse anpassen. Brunner brauchte zum Beispiel einen Antrieb, um mit dem 30 Kilogramm schweren Bike steile Anstiege zu bewältigen. Unhoch baute ihm dazu einen Tretlagermotor ein. Brunners Rad ist ein Prototyp, es hat vorn zwei Räder und hinten eines – normalerweise ist es genau andersherum. „Aber dadurch hat es einen viel kleineren Wendekreis und lässt sich besser lenken“, sagt er. Gesteuert wird es über zwei Griffe neben dem Sitz.

2013 fuhr er neun Tage lang von Füssen nach Riva del Garda an den Gardasee, begleitet von sechs Freunden, seinem Vater und einem Physiotherapeuten. Die Gruppe legte 480 Kilometer und 12.000 Höhenmeter zurück, sein Vater klügelte die Strecke aus, 70 Prozent waren klassische Mountainbike-Routen. „Rückblickend war jede Etappe wunderschön“, sagt Brunner. Er war zurück in den Bergen, fuhr mal steile, schmale und unwegsame Trails und mal breitere Spuren. Zwei Mal halfen ihm seine Begleiter im Gelände. Das obenstehende Video vermittelt einen Eindruck von der Tour.

„Über Inklusion spricht man dort nicht“

In diesem Jahr war Brunner drei Wochen lang mit seinem Rad im US-Bundesstaat Colorado unterwegs. In den Bikeparks konnte er problemlos die Singletrails hinunterbrettern. Sie seien immer breiter als in Deutschland, sagt er, so dass er mit seinem Handbike überall problemlos durchgekommen sei. Brunners Fotos von der Tour auf tumblr zeigen die Fahrten über die Trails.

© Simon Toplak
© Simon Toplak

Die USA gefielen ihm gut. „Dort wurde ich von niemandem gefragt, warum ich im Rollstuhl sitze – wichtig ist dort nur, dass du dabei bist und Spaß hast“, erzählt Brunner. „Über Inklusion spricht man dort nicht, man lebt sie.“ In Europa finde man so etwas nicht.

Nach dem Medienrummel rund um seine Transalp-Tour im vergangenen Jahr will er sich jetzt aufs Rad- und Skifahren konzentrieren. Brunner ist mittlerweile im Landes- und im Nachwuchskader des Deutschen Paralympischen Skiteams im Monoski. Er hofft, dass er sich für den Europacup qualifiziert. Außerdem ist er offizieller Botschafter des Blutspendedienstes (BSD) des Bayerischen Roten Kreuzes. Bei seinem Unfall hatte er etwa vier Liter Blut verloren, bis heute hat er 60 Operationen hinter sich und brauchte 800 Blutkonserven. „Ohne diese Spenden würde ich heute nicht mehr leben“, sagt er.