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Lastenrad: Alternative für die letzte Meile

 

© Arne Behrensen / VCD
© Arne Behrensen / VCD

Zwischen den neuen Lastwagen-Riesen mit acht Achsen wirken die Lastenräder von Gobax oder Cyclocargo auf der Internationalen Automobilausstellung für Nutzfahrzeuge (IAA) in Hannover geradezu winzig. Selbst das Urban Arrow mit einer Zulast von immerhin 200 Kilo wirkt neben den Sattelzügen wie ein Zwerg. Aber gerade seine Maße und sein Antrieb machen es auf der letzten Meile im Stadtverkehr oftmals zu dem schnelleren und ökologischeren Transporter.

Deutschlands Städte stehen kurz vor dem Kollaps. Verkehr, Lärm, die CO2- und die Feinstaubbelastung bringen die Städte an ihre Grenzen. Sie brauchen alternative Verkehrskonzepte. Lastenräder können einen Teil des Güterverkehrs übernehmen. Eine Studie des EU-Projekts Cyclelogistics stellte im vergangenen Jahr fest, dass jede zweite private oder gewerbliche Warensendung in den europäischen Großstädten per Lastenrad zum Kunden gebracht werden könnte. Allerdings kennen mögliche Nutzer oftmals weder die Modelle noch die Potenziale dieser Räder.

Deshalb war der Verkehrsclub Deutschland (VCD) in diesem Jahr mit vier verschiedenen Lastenradherstellern auf der IAA präsent – eine Premiere. Sie zeigten den Messebesuchern die aktuellen Modelle, vom Pizzafahrzeug bis zum Schwertransporter.

Ein Fahrzeug für eine Nische

Lastenräder sind in Deutschland ganz klar ein Fahrzeug für die Nische. Im vergangenen Jahrhundert gehörten sie bis zum Zweiten Weltkrieg in vielen europäischen und amerikanischen Städten zum alltäglichen Bild. Mit dem Wirtschaftswunder und der damit einhergehenden Automobilisierung Deutschlands verschwanden sie von den Straßen. Mittlerweile werden sie wieder attraktiv. Das liegt vor allem an der Kombination der Transporter mit einem Elektroantrieb. Ohne Motor würde ihr Revival bei Gewerbetreibenden sicherlich anders ausfallen.

Einzelne private Unternehmer nutzen die Lastenräder mit Motor bereits in Großstädten, etwa in Hamburg. Dort ist beispielsweise der Baumpfleger Tim Schröder unterwegs. Er transportiert seine 60 Kilogramm schwere Ausrüstung mit Sägen, Seilen und Gurtzeug in der Kiste seines Bullits. Der Kleinunternehmer Christian Rusche bringt mit seinem selbstgebauten Lastenrad Obst und Gemüse in Agenturen und Anwaltskanzleien der Hansestadt. Und selbst Ikea im Zentrum von Hamburg-Altona verleiht Lastenräder an seine Kunden, und zwar im großen Stil.

Baumpfleger Tim Schröder © Andrea Reidl
Baumpfleger Tim Schröder © Andrea Reidl

Christian Rusche © Reidl
Christian Rusche © Reidl

Auch andere Städte entdecken die Lastenräder oder testen mögliche Einsatzzwecke. In München hat die IHK zwölf Lastenräder angeschafft und verleiht oder vermietet sie an Handwerker und Gewerbetreibende.

Wer hier einen Markt für Freaks und Fahrradkuriere vermutet, liegt falsch. Selbst die Bundesregierung sieht bei den Transporträdern brachliegendes Potenzial. Vor einem Jahr hat das Bundesverkehrsministerium beim Institut für Verkehrsforschung eine zweijährige Untersuchung über den Einsatz von Fahrrädern im Wirtschaftsverkehr in Auftrag gegeben. Schließlich senkt der Tausch von Auto gegen Lastenrad auch die Schadstoffbelastung in den Städten.

Nicht nur etwas für Fahrradfreaks

Künftig sollen auch immer mehr Paketdienste auf Lastenräder zurückgreifen. In Berlin gab es dazu schon mal einen interessanten Testlauf mit dem Berliner Kurierdienst Messenger und der so genannten BentoBox. Letztere ist ein gemeinsames Logistikprojekt für Innenstädte vom Fraunhofer IPK und dem Logistikberater LNC. Hinter der BentoBox verbirgt sich eine zentrale Packstation, die sowohl Pakete als auch Briefe fasst und die im Berliner Stadtteil Friedenau an einem öffentlichen Platz aufgestellt wurde. An dieser Sammelstelle konnten die Auto- und Fahrradkuriere von Messenger Waren- und Briefsendungen lagern und abholen. So kombinierten sie Touren, sparten unnötige Kilometer und weiteten gleichzeitig ihren Aktionsradius aus. 85 Prozent der Kurierfahrten konnten demnach im Einsatzgebiet mit Fahrrädern anstelle von Pkw durchgeführt werden.

Je nach Standort sei das System auch für Handwerker oder Einzelhändler interessant, sagt Andreas Weber, Logistikberater bei LNC, der das Projekt BentoBox betreute. Stünde eine BentoBox beispielsweise in einem Einkaufszentrum, könnten sie Waren und Material dort abholen oder für den Kurier oder Paketdienst einlagern.

Gerade in Zeiten des wachsenden Onlinehandels ist der Einsatz von Lastenrädern für die letzte Meile in der Stadt, in Kombination mit solchen innenstadtnahen Umschlagplätzen, ein attraktives Konzept.