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Mit „emotionalen Karten“ zu mehr Radverkehr

 

Radwege: Mit "emotionalen Karten" zu mehr Radverkehr
Kopenhagen: Radfahrer sind hier sicher unterwegs. © Reidl

Wie bewegt man Menschen dazu, vom Auto aufs Fahrrad umzusteigen? Oder anders gefragt: Was hält Menschen davon ab, sich auf den Sattel zu schwingen? Das hat Thiemo Graf, Geschäftsführer des Instituts für innovative Städte, in den vergangenen Jahren untersucht.

Grafs Thesen sind ebenso logisch wie simpel: Seiner Meinung nach sollten die Kommunen das subjektive Empfinden der Menschen ernster nehmen und stärker in ihre Planung einbeziehen. Beim Radverkehr verfolgen Planer zurzeit aber eher eine gegenteilige Strategie.

Hierzulande wird, wann immer es möglich ist, der Radverkehr auf die Straße verlagert – das gilt als sicherer. Der Fahrradmonitor, eine regelmäßig vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebene Studie, zeigt jedoch, dass sich jeder zweite Radfahrer im Straßenverkehr unsicher fühlt. Viele fühlen sich auf separaten Radwegen wohler, wo sie klar getrennt vom Autoverkehr unterwegs sind. Sie finden das sicherer. Für dieses Gefühl nehmen sie auch schlechte Radwege in Kauf.

In Deutschland kann dieses subjektive Empfinden jedoch täuschen: Die zum Teil Jahrzehnte alten Radwege, die neben der Straße verlaufen, sind an vielen Stellen für Autofahrer schlecht einsehbar. Das heißt: Wenn sie an einer Kreuzung rechts abbiegen, können parkende Autos oder Bäume ihnen die Sicht auf Radfahrer versperren. Deshalb sind derlei Kreuzungen unfallträchtig.

In Kopenhagen und den Niederlanden wird der Verkehr anders gelenkt. In der dänischen Hauptstadt etwa werden die Radwege parallel neben dem Autoverkehr geführt. Dadurch sind sie für Autofahrer jederzeit gut sichtbar. Allerdings sind ihre Wege teilweise erhöht, farblich markiert oder anderweitig klar als Radwege ausgewiesen. Umfragen zeigen immer wieder: Die Kopenhagener fühlen sich in ihrer Stadt auf dem Radweg ausgesprochen sicher. Ein Signal dafür ist auch, dass dort Menschen aller Alters- und Fitnessgruppen per Rad unterwegs sind.

Getrennte Wege in Kopenhagen © Reidl
Getrennte Wege in Kopenhagen © Reidl

Natürlich gibt es in Deutschland durchaus Radfahrer, die sich gerne die Straße mit Autos teilen. Aber das trifft eben nicht auf alle Radfahrer zu – die Gruppe aus Alltags-, Gewohnheits- wie Gelegenheitsradlern ist heterogen. Damit letztere sowie Ein- oder Umsteiger sich im Verkehr gleichermaßen wohl fühlen, müssen einige Punkte in der Infrastruktur wesentlich verbessert werden.

„Emotionale Karte“ hilft Verkehrsplanern

Dazu ist es wichtig, die Bereiche im Straßenverkehr zu kennen, die den Radfahrern Stress bereiten. Graf hat in seinem Vortrag auf der Eurobike als Beispiel das interessante Projekt EmoCycling der Technischen Universität Kaiserslautern angeführt. Studenten des Fachbereichs Raumplanung und des Fachgebiets für Computergestützte Planungs- und Entwurfsmethoden haben mithilfe des sogenannten Emotional Mapping eine „emotionale Stadtkarte“ für Kaiserslautern erstellt.

Das Vorgehen ist relativ einfach: Radfahrer werden mit einem Smartband, einem GPS-Tracker und einer Kamera ausgestattet. Das Smartband misst Parameter der Haut, etwa Temperatur und Hautleitfähigkeit. Diese Werte können später Emotionen wie Stress zugeordnet werden. Synchronisiert man die Daten mit einem GPS-Signal, können sie auf einer Karte dargestellt werden. Unterschiedliche Farben auf der Karte zeigen dann an, an welchen Orten die Radfahrer häufig Stress erlebten.

Eine solche Straßenkarte vermittelt Planern einen groben Überblick über neuralgische Punkte für den Radverkehr. Die mit der Kamera aufgenommenen Videos dienen dazu, einzelne Stressfaktoren noch besser zu identifizieren.

Radfahren muss komfortabel sein

Aber damit Menschen vom Auto aufs Rad umsteigen beziehungsweise öfter das Rad nutzen, muss laut Graf die Infrastruktur mehr leisten als nur sicher sein. Die kleinen Dinge im Alltag, die für Autofahrer längst selbstverständlich sind, müssen auch für Radfahrer selbstverständlich werden. Etwa ein Pannendienst, den es seit neuestem auch für Radfahrer gibt, oder ein funktionierender Winterdienst. In Kopenhagen werden die Radwege vor den Autospuren vom Schnee befreit. Das gibt den Radfahrern Planungssicherheit. Sie wissen, sie kommen gut durch.

Fußstützen für Radfahrer an Ampeln © Reidl
Fußstützen für Radfahrer an Ampeln © Reidl

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Damit jemand sein Verhalten ändert, muss es Anreize geben. Beim Radfahren gehört dazu eine Infrastruktur, die gleichermaßen Komfort und Spaß verspricht. Die grüne Welle ist für Radfahrer in Kopenhagen ein echter Komfortgewinn, ebenso Haltestützen an Ampeln. Auch die neue Regelung in Paris, die es Radfahrern erlaubt, an roten Ampeln auch bei Rotlicht rechts abzubiegen. Das klingt banal, ist aber wirkungsvoll. Denn ein zusätzlicher Stopp macht einem Autofahrer bedeutend weniger aus als einem Radfahrer. Letzterer muss sein Fahrzeug schließlich mit Muskelkraft stets selbst beschleunigen.