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Beliebige Kunst unter anthroposophischem Deckmantel

 

Rudolf Steiner, Wandtafelzeichnung "Je weiter sich der Mensch von der Erde entfernt", 1923 © Rudolf Steiner Archiv Dornach

Das Kunstmuseum Stuttgart präsentiert Rudolf Steiner aus einer eigenwilligen Perspektive.

Bei einem Trip in die ästhetische Provinz – aber dazu später mehr – stand unter anderem ein Ausflug ins Kunstmusem Stuttgart auf dem Programm. Die Erkenntnis aus der Schau Kosmos Rudolf Steiner: Die Farbexplosionen von Katharina Grosse passen verdammt gut in die Ausstellung über Steiners anthroposophische Vision. Ob das jetzt für Rudolf Steiners ganzheitliche Lehre oder gegen die Werke der Berliner Künstlerin spricht, konnte die Ausstellung leider nicht klären.

Kosmos Rudolf Steiner ist ein Gemeinschaftsprojekt der Kunstmuseen Stuttgart und Wolfsburg sowie des Vitra Design Museum. Gemeinsam haben die Kuratoren Ulrike Groos, Simone Schimpf und Mateo Kries satte 500 Exponate zusammengetragen, um ein Schlaglicht auf das gestalterische Werk Steiners zu werfen. Leider ist das Ergebnis so anschaulich, wie platt. Und die Organisation der Ausstellung betont auch noch den fehlenden Bezug zu den Kunstwerken. Der „Kosmos“ setzt sich nämlich zusammen aus der kulturhistorischen Retrospektive Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags in den oberen Geschossen des Museums sowie der übers Haus versprengten Gruppenausstellung Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart.

Westfassade des zweiten Goetheanums © Vitra Design Museum (Foto: Deidi von Schaewen)

Die von Mattheo Kries kuratierte Retrospektive zeigt vor allem, wie sich Steiners esoterische Geisteslehre in Kunst, Design und Architektur konkretisiert. Sie umfasst Originalzeichnungen und Skulpturen, Möbel und Modelle von ihm, seinen Zeitgenossen aber auch Nachfolgern. Dazu kommen zahlreiche Dokumente, wie Briefwechsel mit Franz Kafka oder Original-Plakate. Aus Kries designtheoretischer Perspektive tritt Steiner als ästhetischer Visionär auf, der im Kontext von Jugendstil, Kubismus und Expressionismus eigenwillige Möbel entwirft und im skulpturalen Betonkoloss des Goetheanums (1928) seine organische Architektursprache verewigt. Zur Illustration stellt Kries ihm beispielsweise den Möbeldesigner Konstantin Grcic gegenüber, den Architekten Richard Neutra oder den Künstler Piet Mondrian. Und ja, diese Begegnungen sind spannend, informativ und gut gemacht.

Was als Designausstellung funktioniert, misslingt jedoch bei der Kunst: Für den Komplex Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart setzen die Kuratoren eine Steiner-Rezeption voraus und machen sie an vierzehn Künstlern fest. Dass auch Olafur Eliasson oder Carsten Nicolai naturwissenschaftliche Phänomene und ästhetische Anschauung verbinden, leuchtet ein. Fantastisch ist, wie die Videoarbeit Stehtanz von Kalin Lindena den Themenkomplex der Eurythmie aufgreift. Aber eine schwangere Wand von Anish Kapoor mit dem Motiv der geistigen Befruchtung zu deuten, wirkt beliebig. Überhaupt sind die anthroposophischen Werkdeutungen schmerzhaft banal.

Katharina Grosse, ohne Titel, 2010 (Installationsansicht) © VG Bild-Kunst, Bonn 2011

Wer Katharina Grosses monumentalen Seidenmalerei-Skulpturen etwas abgewinnen kann, kommt dennoch auf seine Kosten. Ansonsten sollte diese Oberflächlichkeit wohl hippe Großstädter ansprechen. Immerhin schätzen die nicht nur zeitgenössisches Design und interessieren sich für Kunst, sondern entdecken auch seit geraumer Zeit ihre alternative Seite. Weil die Anschaulichkeit dieser modischen Auseinandersetzung mit Rudolf Steiner zu Kosten der im Grunde spannenden Substanz geht, bleibt es im Ganzen nur eine „interessante“ Ausstellung.

noch bis zum 22. Juni 2011 | Kunstmuseum Stuttgart | Kleiner Schlossplatz 13 | Stuttgart