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Als deutsche Reporterin in Athen

 

Als deutsche Reporterin in Athen
Unsere Reporter Khuê Pham und Zacharias Zacharakis im griechischen Parlament (c) Nikos Pilos

Als ich vom Athener Flughafen in die Innenstadt fuhr, fragte mich der Taxifahrer, warum ich hier sei. Ich erklärte ihm, dass ich für eine deutsche Zeitung über die Ereignisse in Griechenland berichten würde. „Deutschland!“, rief er aus. „Ich liebe Merkel!“ Bitteres Lachen. Nachdem wir die Stadt erreicht hatten, zeigte er eine Straße hinunter und erzählte von einem Denkmal, das den Opfern der deutschen Besatzung gedenken sollte.

Normalerweise ist man als Journalist in einer neutralen Beobachterrolle. In diesen Wochen der griechischen Krise ist das anders. Es ist nicht nur eine griechische Krise, sondern auch eine deutsche. Wir Deutschen sind darin beteiligt, und in den Augen vieler Griechen spielen wir dabei keine gute Rolle. Jedes deutsche Verhandlungspapier und jedes Statement von Wolfgang Schäuble wird in den griechischen Medien – und besonders auf Twitter – genau registriert. In den Tagen nach der Brüsseler Einigung erklärte mir ein griechischer Kollege haarklein, wer in der SPD was genau gesagt habe. Er wusste darüber mehr als ich.

„Was denkst Du denn über Merkel?“, fragte mich ein Übersetzer, der mehrere Jahre in Deutschland gelebt hat und mit dem ich mir Dienstagnacht das Fernsehinterview von Alexis Tsipras ansah. Ich erklärte ihm, dass meiner Meinung nach sowohl die Europäer als auch die Griechen schwere Fehler begangen hätten. Dass ich Merkels Festhalten an der Sparpolitik dogmatisch und Tsipras Referendum unverantwortlich fände. Und dass für diese Fehler am Ende die griechische Bevölkerung leiden müsse, die deutsche aber nicht. Warum also sperrt sich das „Nein“-Lager so?

Je mehr ich redete und je bissiger er nachfragte, desto stärker wurde das Gefühl, dass wir voreinander gerade die Interessen unseres jeweiligen Landes vertraten. Wenn wir nicht so müde gewesen wären, hätten wir uns wahrscheinlich gestritten.

Als Journalist darf man nicht in die Rolle des Regierungssprechers fallen. Gerade weil die Informationslage oft unklar ist und bei den Verhandlungen so viel geleakt wurde, muss man aufpassen, nicht in einen nationalen Spin zu verfallen. Mir wurde zum Beispiel erst durch meine Recherchen vor Ort bewusst, wie viele Fehler die Troika in den letzten fünf Jahren gemacht hat und wie wenig Autorität sie in Griechenland besitzt. Erst durch meine Gespräche mit Griechen begann ich, die deutsche Sparpolitik zu hinterfragen.

Wenn ich griechische Passanten auf der Straße, Teilnehmer bei Demonstrationen oder Politiker interviewe, sprechen wir oft über die deutsche Regierung. Immer wieder fallen Formulierungen wie „Erpressung“, „Reperationszahlungen“ oder „Würde“. Worte, die auch Alexis Tsipras in seinen Reden immer wieder benutzt, um das Bild vom griechischen David gegen den europäischen Goliath zu zeichnen. Man merkt, wie sich die Griechen radikalisieren. Wie sich der Graben zwischen ihnen und uns vergrößert. Gleichzeitig bemühen sie sich, einen Unterschied zwischen Bundesregierung und Bevölkerung zu machen. Am Ende des Interviews sagen viele: „Ich habe etwas gegen die deutsche Regierung, nicht gegen die Deutschen an sich.“

Tatsächlich habe ich in meinen Begegnungen mit griechischen Gesprächspartnern und oder im Alltag selten schlechte Erfahrungen gemacht. Da ist der Taxifahrer, der bloß kein Trinkgeld annehmen will. Der Restaurantbesitzer, der mir das Dessert schenkt. Der Stringer, der bis spätnachts arbeitet, ohne einmal nach der Uhrzeit zu fragen. Die Menschen hier wissen, welche Klischees in Deutschland verbreitet werden; die Rede von den faulen Griechen, die über ihre Verhältnisse leben und nur rumjammern, verletzt sie. Zu Recht. Die Griechen sind sehr stolz. Das ist das Wichtigste, das ich von meinen Recherchen hier mitnehme.

9 Kommentare

  1.   Monika Lagoudaki

    1. warum haetten die die Griechen nicht NEIN sagen sollen? Fuenf Jahre sind sie in einem Programm und das Ergebnis ist: die Einkommen werden immer kleiner, die Belastungen immer hoeher, die Jungen gehen weg und die Schulden steigen immer mehr. Warum sollten die Griechen da Ja, Weiter so Sagen???
    2. Das ganze Schuldenproblem wird unter einem moralischen Aspekt gesehen (IHR habt ueber eure Verhaeltnisse gelebt, seid verschwenderisch, korrupt etc.). Die allermeisten Menschen haben aber immer das gemacht was ALLE Menschen auf der ganzen Erde tun. Mit dem zurecht gekommen was sie haben. Meinen Sie die Bevoelkerung GRs befasst sich jeden Tag mit dem Staatsbudget um ihre persoenlichen Ausgaben zu regulieren? Warum haben die Geldgeber (welche auch immer) dauernd Geld ins System gepumpt? Was sind nun die Perspektiven GRs?
    Als GR in die EU eintrat, wurde die geringe nationale Industrie abgeschafft, die Landwirtschaft heruntergefahren, hunderte von China-Shops kamen ins Land.
    Was sind nun die Perspektiven GRs, wann, falls ueberhaupt hoert wenigstens die staendige Talfahrt auf? Die „Hilfsprogramme“ haben nichts gebracht, und wenn es heisst, es gab keine Reformen, so war die Hauptreform die Innere Abwertung, das wurde gemacht, mit staendiger Kuerzung von Gehaeltern und Renten, und der Erfolg?

  2.   Philipp

    Dass man einige Informationen in Deutschland gar nicht oder nicht so leicht bekommt, habe ich auch festgestellt.
    Dass z.B. die meisten Milliarden der Rettungspakete nie in Griechenland angekommen sind, sondern sofor weitergereicht wurden an (in erster Linie deutsche und französische) Banken, wird zwar inzwischen auch ab und zu in den deutschen Medien erwähnt, aber in den ersten paar Jahren der Krise habe ich davon immer nur in englischsprachigen Zeitungen gelesen. Es gibt intelligente Leute, die sagen, dass die Rettungspakete gar nicht dazu da waren, Griechenland zu retten, sondern eben die Banken. Das offen zu sagen, wäre in der deutschen Bebölkerung sicher nicht so gut angekommen; also kam den verantwortlichen Politiker die Mär vom faulen Griechen gelegen. Und das Bedauerliche ist, dass die deutschen Medien da offenbar ohne Widerspruch einfach mitgemacht haben. Da ist es kein Wunder, dass viele Deutsche tatsächlich der Meinung sind, sie seien die armen, fleißigen Steuerzahler, die nun den faulen Griechen zur Hilfe eilen sollten. Die deutsche Presse hat es ja gerade so dargestellt und den Leuten fleißig dabei geholfen, sich ihre Meinung zu bilden!

    Auch davon, dass Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg immense Schulden hatte, von denen ein großer Teil beim Londoner Abkommen einfach vergeben wurden, habe ich zuerst in englischen Medien erfahren.

    Der Fairness halber muss ich schon sagen, dass die Zeit zumindest mal Mühe gibt, alle Seiten darzustellen. Die obenstehende Kritik gilt also mehr anderen Medienvertretern.
    Hier im vorliegenden Artikel heißt es z.B., die Troika habe viele Fehler gemacht. Da würde es mich schon mal interessieren, was das für Fehler waren. Dann würde vielleicht auch nachvollziehbar, warum die Troika in Griechenland doch eher unbeliebt ist.


  3. „Der Grieche“ ist nicht faul, hat aber dennoch deutlich über seine Verhältnisse gelebt! Und das BEWUSST! Nicht nur SYRIZA, auch PODEMOS oder die NEA DIMOKRATIA (die Schuldenmacher) wurden demokratisch gewählt!! 300 Milliarden Schulden für die Wahlgeschenke mit denen die Wählerstimmen gekauft wurden! Dank schuldenfinanzierter Binnenmarkt Nachfrage in 2008/09 ein Wirtschaftswachstum größer als Deutschlands! DAS HEIßT: weit über die Verhältnisse gelebt zu haben! Und der Restaurantbesitzer hat auch gewählt, rechnet aber immer noch über die Tasche und nicht über die Kasse ab und der Taxifahrer hat auch gewählt, aber den Abgeordneten, dem er seine „Lizenz“ verdankt!
    Jammern tut auch nicht „der Grieche“, aber seine Politiker! Ganz besonders Herr Tsipras, der fortwährend pathetisch vom „Kampf“ spricht (= Gut gegen Böse).
    Und so geht es mir wie den Griechen = ich mag „die Griechen“ (gerade wegen ihres ewig unterschwelligen Anarchismus), aber eben nicht ihre Politiker!
    Das diese aber regieren konnten, dafür ist eben auch „der Grieche“ verantwortlich!
    Jammern aber tut vor allem die Presse! Ich kann es nicht mehr hören/lesen, dass der „arme“ Grieche täglich „nur“ 60 Euro vom Konto abheben darf!! 30 x 60,- macht 1.800 Euro netto! Ich kenne eine Menge Menschen in Europa, die so viel Geld monatlich nicht zur Verfügung haben. „Nur 60 Euro täglich“ sind daher kein schlagendes Argument für „Verelendung“….

  4.   Schetters

    Ist ja schön das die Griechische Bevölkerung differenziert zwischen Regierung und Bevölkerung – schliesslich wollen Sie ja das wir bei Ihnen Urlaub machen und wenigstens ein bisschen Geld ins Land bringen. Ja und das mit dem Stolz ist so ne Sache, den kann ich mir auch nur Leisten wenn ich noch was zu essen habe.
    Die Quintessenz ist kein Geld für Griechenland, lieber Care-Pakete, dann kommt die Hilfe wenigstens da an wo Sie benötigt wird. Griechenland raus aus der EU und aus dem Euro denn auch hier gilt wenn ich nicht mithalten kann dann muss ich kleinere Brötchen backen und Griechenland konnte nachweislich noch nie mithalten ausser im fälschen der Statistiken, „da können wir noch was lernen“.
    Es ist schon zu viel Geld versenkt worden. Griechenland soll sich selber finden und aufbauen und das am besten Stolz mit Ihrer alten ehrfürchtigen Drachme, passt ja auch viel besser zu Griechenland.

  5.   Der mit dem Euro tanzt

    Man hört immer wieder, dass die Griechen sehr stolz sind.
    Dabei stellt sich mir immer die Frage, worauf sie denn stolz sind?
    Auf die vielen toten Rentner, deren Hinterbliebenen sich die Rente rechtswidrig in die Taschen stecken?
    Auf die Korruption? Auf den Volkssport der Steuerhinterziehung?
    Auf einen nur mangelhaft funktionierenden Staatsapparat?
    Auf die Verschleierung von Staatsschulden in Kooperation mit dubiosen Bankern, die dafür auch noch hunderte Millionen kassiert haben?

    Oder sind sie stolz Griechen zu sein und stolz auf ihre Nation?
    Warum fällt es ihnen dann bei all ihrem Stolz so schwer, ihren Beitrag zu leisten und sich darum zu bemühen, dass es ihrem Land möglich ist, seine Schulden zurück zu zahlen?

    Stolz sein kann jeder, sich seinem Stolz entsprechend zu verhalten ist etwas ganz anderes.

    Auf das was sie im Job leisten, können einige allerdings wirklich stolz sein.
    Ich habe einige Jahre eng mit einem unserer Standorte in Griechenland zusammen gearbeitet. Faul war da keiner!

  6.   Max Artur

    die Zeit sollte sich dafür zu schade sein:…’erzählte von einem Denkmal, DAS DEN OPFERN DER DEUTSCHEN BESATZUNG GEDENKEN SOLLTE‘!!!
    Ein Denkmal gedenkt also und das noch im Dativ.
    Ich weiss, das der Genetiv dem Dativ sein Tod ist, aber in der Zeit?

  7.   Kartenhaus

    Die Griechen mögen ja sehr stolz sein.

    Allerdings zweifle ich daran, dass es echter Stolz ist, eher Eingebildetheit.

    Wäre es richtiger Stolz, hätten sie schon alles Mögliche (wie funktionierende Behörden, Katasterämter) aufgebaut und die Korruptionsbekämpfung mit an die erste Stelle gesetzt. Schon damit sie aus eigenen Kräften aus der Misere herauskommen.

    Sie sind nicht zu stolz, ihrer Ober- und oberer Mittelschicht klaglos dabei zuzusehen, wie diese deren Gelder aus Griechenland abziehen. Sie sind nicht zu stolz, die Steuerzahler der Eurostaaten für die eigenen Nicht-Steuerzahler bezahlen zu lassen.

    Was für eine Art Stolz ist das?

  8.   SallyME

    „Ich erklärte ihm, dass meiner Meinung nach sowohl die Europäer als auch die Griechen schwere Fehler begangen hätten.“
    Vielleicht ist genau das das Problem der deutschen Haltung gegenüber der ganzen Sache…

  9.   kpham

    @Philipp Der Syriza-Gesundheitsminister hat mir ein konkretes Beispiel genannt, in der die Vorgaben der Troika als Vorlage für eine verschwenderische Umsetzung diente: http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-02/griechenland-gesundheitsminister-blind-panagiotis-kouroumplis/seite-3

 

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