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Tierversuchsfreie Kosmetik ist nur der erste Schritt

 

Weiße Ratten in einem Versuchslabor in China (Archiv); China Photos/Getty Images
Weiße Ratten in einem Versuchslabor in China (Archiv); China Photos/Getty Images

Glückwunsch an die EU! Dieser Montag ist ein wirklich entscheidender Tag für den Tierschutz. Von heute an sind in Europa Tierversuche für Kosmetika und ihre Inhaltsstoffe komplett untersagt. Das Verbot gilt auch für importierte Stoffe.

Das Besondere ist: Obwohl es für manche Tiertests noch keine Alternativen gibt, hat die EU-Kommission auf dem Verbot bestanden. Kein Einknicken gegenüber der Industrie diesmal. Für Tierschützer wie etwa den Tierschutzbund und der EU-weiten Kampagne Say no to cruel cosmetics ist das ein großer Erfolg. Dabei, und das ist das Paradoxe, schließt die neue Regelung Tierversuche keineswegs völlig aus. Grund ist ein juristisches Schlupfloch.

Der Bundesverband der Tierversuchsgegner schätzt, dass ein Großteil der Inhaltsstoffe von Kosmetika gar nicht unter die EU-Kosmetika-Richtlinie fällt. Für sie ist vielmehr das ganz normale Chemikalienrecht (REACH) relevant. Das bedeutet, dass diese Stoffe nicht prinzipiell tierversuchsfrei sein müssen. Ganz im Gegenteil, das Chemikalienrecht sieht in manchen Fällen noch immer explizit Tierversuche vor. Von „Toxikologischer Prüfung zur Sicherstellung der menschlichen Gesundheit“ ist dann die Rede.

Unter anderem müssen teilweise Chemikalien mit Tierversuchen getestet werden, um ins EU-weite Chemikalienregister REACH aufgenommen zu werden. Zum Teil sind diese Stoffe sogar schon zugelassen. Trotzdem schreibt REACH die erneute Prüfung vor. Die Tierschutzakademie warnte schon vor einem „Massengrab für Versuchstiere„.

An den mehr als zwölf Millionen Tierversuchen in der EU haben die Versuche für Kosmetik nur einen Anteil von 0,02 Prozent, so die Organisation Ärzte gegen Tierversuche. In allen Fällen, die nicht unter die neue Kosmetik-Richtlinie fallen, sei es sogar ziemlich schwer, auf Tierversuche zu verzichten, kritisiert Kristina Wagner vom Deutschen Tierschutzbund. Unternehmen müssten erst einmal nachweisen, dass die tiertestfreie Alternative genauso gut sei wie ein Tierversuch.

Eine überflüssige Hürde. „Das ist ein Relikt und lässt sich nur damit erklären, dass Tierversuche über Jahrzehnte zur Tradition gehörten“, sagt Wagner. Die Vorschriften sind aber schon seit Jahren immer strenger geworden, deshalb waren Industrie und Wissenschaft gezwungen,  Alternativen zu suchen.  Heute gibt es die laut Wagner: Statt Kaninchen das Fell zu rasieren, Substanzen aufzutragen und die Reaktion der Kaninchenhaut abzuwarten, testen Firmen manche Substanzen inzwischen etwa an künstlich gezüchteten menschlichen Hautzellen. Solche Tests seien „wissenschaftlich weitaus relevanter“ als zu versuchen, die Reaktion von Kaninchenhaut auf den Menschen zu übertragen, sagt Wagner.

Ob die Zahl der Tierversuche in letzter Zeit wegen REACH gestiegen ist, könne man noch nicht sagen, antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag. In Deutschland jedenfalls steigt die Zahl der Versuche. Das zeigen aktuelle Zahlen auf den Seiten des Bundesverbraucherministeriums, dessen Hausherrin Ilse Aigner (CSU) ja auch fürs Tierwohl zuständig ist. Im Jahr 2011 wurden an rund 2,9 Millionen Tieren Versuche gemacht: Blutentnahmen, Operationen oder Medikamententests. Das ist ein Plus von 1,9 Prozent zum Vorjahr – und die Zahlen steigen von Jahr zu Jahr.

Getestet wird vor allem an Mäusen, in vielen Fällen für die Krebsforschung. Dass die Zahlen steigen, zeigt, wie viel trotz des Kosmetika-Versuchverbots noch zu tun ist.