Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Deutschland verschwendet Land

 

Kaum ein Land in Europa geht derart verschwenderisch mit seiner Fläche um wie Deutschland, sagen Fachleute. Neben dem Lidl entsteht gleich ein Aldi, daneben am besten noch ein Fressnapf – und Parkplätze müssen auch her. Für Einkaufszentren, aber auch für Straßen, Windparks, Grünanlagen oder neue Wohngebiete werden täglich etwa 80 Hektar Fläche verbraucht, so das Umweltbundesamt. Das entspricht etwa einer Fläche von 116 Fußballfeldern, die täglich verloren geht. Zum Vergleich: In Großbritannien sind es gerade einmal 15 Hektar am Tag.

Die Bundesregierung will diesen Flächenfraß beenden. Bis zum Jahr 2020 sollen es nur noch 30 Hektar pro Tag sein, also fast die Hälfte. Denn der unbedachte Flächenkonsum hat seine Folgen: Die Tier-und Pflanzenwelt braucht schließlich unzerschnittene Lebensräume. Nicht erst das Elbhochwasser hat gezeigt, wie wichtig Ausweichflächen für Flüsse sind. Natürlich wird es auch teuer, wenn immer mehr Straßen und Infrastrukturen gebaut werden: Sie werden immer schlechter ausgelastet, je mehr wir von ihnen haben, zumal die Bevölkerung schrumpft. Ackerboden ist außerdem wertvoll. Das Umweltbundesamt hat das ganz anschaulich ausgerechnet: Zwischen 2008 und 2011 haben deutsche Kommunen rund 120.000 Hektar Fläche umgewidmet, eine Fläche so groß wie Berlin und München zusammen. Darauf hätte man den Getreide-Jahresbedarf für Brot für mehr als 13 Millionen Menschen produzieren können.

Flächenverbrauch sei ein schleichendes Phänomen, daher mangele es an Problembewusstsein, klagt auch das Bundesumweltministerium. Nicht aber so in 15 Kommunen in ganz Deutschland.

Sie nehmen am Planspiel Flächenhandel des Umweltbundesamts teil. Ob Mönchengladbach in NRW, Rendsburg in Schleswig-Holstein oder Meerane in Sachsen: Sie wollen künftig mit Flächenzertifikaten handeln. Das Instrument kennen die meisten ja aus dem Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten.

Hier bekommen die Kommunen entsprechend ihrer Einwohnerzahl Flächenzertifikate kostenlos zugewiesen. Wollen sie nun zum Beispiel ein Neubaugebiet ausweisen, müssen sie dafür Zertifikate vorweisen. Wer keine hat, muss sie sich von einer Nachbarkommune teuer kaufen. Wer zu viele hat, kann sie verkaufen. Die Hoffnung: Fläche wird wertvoll – und die Gemeinde überlegt sich vielleicht zwei Mal, ob das Neubaugebiet tatsächlich draußen vor der Tür sein muss. Oder ob nicht günstiger innerorts leerstehende Gebäude reaktiviert werden können.

Für Michael Schier, der das Projekt als Wissenschaftler am Institut der Wirtschaft in Köln mitbetreut, ist das Projekt ein Novum. Er kennt kein vergleichbares Projekt, bislang habe noch niemand versucht, einen Handel mit Flächenzertifikaten umzusetzen.

Natürlich ist das gerade jetzt, wenn das Prestige-Zertifikateprojekt Emissionsrechte am Boden liegt und sich die Politik schwer tut damit, es wiederzubeleben, ein riskanter Zeitpunkt. „Die Effektivität des Instruments hängt von politischen Willen ab“, sagt Immobilienökonom Schier. Und erst einmal bleibt es  ein Planspiel. Dass Kommunen tatsächlich die Flächenrechte erstehen müssen, davon ist Deutschland noch weit entfernt. Mal schauen, zu welchen Ergebnissen die 15 Orte in zwei Jahren kommen werden. So viel Zeit haben sie, um herauszufinden, ob das Instrument tatsächlich sinnvoll und praktikabel ist. Das politische Ziel, den Flächenfraß zu beenden, aber bleibt.