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Flüchtlinge

Alleingelassen in Hamburg-Eidelstedt

 

Am Sonntagabend brachte die Bundeswehr etwa 200 Flüchtlinge in Hallen eines ehemaligen Baumarkts. Wer für ihre Versorgung zuständig ist, blieb erst mal unklar.

„Stadt HH überlässt Flüchtlinge in Eidelstedt sich selbst. Nur die Ehrenamtlichen sorgen vor Ort für das Nötigste“, hatte Zaklin Nastiç am Sonntagabend getwittert. Erst spät in der Nacht war die Linke-Politikerin, die in Eimsbüttel in der Bezirksversammlung sitzt, aus der Halle des ehemaligen Praktiker-Baumarktes zurück nach Hause gekommen. Gemeinsam mit Bundeswehrsoldaten und Ehrenamtlichen hatte sie dabei geholfen, die Ankunft der etwa 200 Flüchtlinge in Eidelstedt zu organisieren.

Am Montag um 10 Uhr morgens ist sie wieder da – noch immer ist nicht klar, wer die Verantwortung trägt für die Unterbringung der Menschen hier. Die Flüchtlinge haben Luftmatratzen und Decken bekommen, einige haben Igluzelte aufgebaut in den Hallen – insgesamt sind es drei Hallen, noch spärlich belegt. Der Boden ist staubig, obwohl schon seit vergangener Woche die Notbelegung der Halle geprüft und geplant wird, hat kein Putztrupp den Weg nach Eidelstedt gefunden. Ein paar Dixieklos stehen vor dem Eingang zur Halle. Nastiç zeigt die verschlossenen Türen zu dem ehemaligen Verwaltungstrakt: „Da müssten doch eigentlich noch Toiletten sein“, sagt die Bezirksabgeordnete. „Ich verstehe nicht, warum die nicht genutzt werden.“

Eine private Cateringfirma teilt Frühstück aus, Männer stehen um die Steckdosen an den Hallensäulen herum, um einen Platz zum Aufladen ihres Mobiltelefons zu bekommen. Ehrenamtliche haben das ehemalige Pförtnerbüro in der Nacht zu einer improvisierten Kleiderkammer umfunktioniert. „Die Stadt ist überfordert“, sagt Sevgi Ünver, eine Nachbarin, die schon seit Wochen in verschiedenen Unterkünften ehrenamtlich im Einsatz ist. „Also müssen wir Hamburger das machen. Und wir machen das auch gerne“, sagt Ünver. Sie hat müde Augen, die ganze Nacht hat sie hier in der Halle verbracht.

Wie in vielen Unterkünften rekrutieren sich die Ehrenamtlichen auch hier wieder aus Hamburgern, die größtenteils selbst eine Einwanderungsgeschichte haben oder gar als Flüchtlinge in diese Stadt kamen. Zaklin Nastiç hat als Kind ein paar Jahre auf dem Flüchtlingsschiff Bibi Altona verbracht. Sevgi Ünver hat Islamwissenschaften studiert, sie spricht Arabisch, Türkisch und Deutsch und weiß, wie man Nothilfe mit Menschen organisiert, die seit Monaten, manchmal Jahren im Dauerausnahmezustand leben. „Ich hab angefangen, den Müll einzusammeln“, erzählt sie. Nach ein paar Minuten seien Flüchtlinge gekommen und hätten gesagt: Lass mal, Schwester, wir machen das! „Das fordert sie doch in ihrer Ehre heraus, wenn hier eine Frau alleine aufräumt“, meint Ünver.

Der Haufen mit Mülltüten steht inzwischen vor dem Eingang. Zwei Frauen mit Kopftüchern kommen in Kleinwagen angefahren und laden blaue Säcke mit Kleiderspenden ab. Es ist halb elf, inzwischen ist auch Eimsbüttels Bezirksamtsleiter Thorsten Sevecke eingetroffen. Er habe selbst erst vor zwei Stunden von der Belegung des Baumarktes erfahren, sagt er. „Das ist jetzt in der Verantwortung des Bezirksamtes“, antwortet er auf die Frage, wer denn nun der Träger der Notaufnahmeeinrichtung sei. „Wir machen das hier.“ Er erteilt Anweisungen an die Kollegen vom Straßenbau, die kurzfristig von ihrer Baustelle abkommandiert worden sind, um hier mit anzupacken. „Hier, der Müll muss weg!“, ruft er. Die Straßenbaumitarbeiter sagen, sie hätten auf ihrer Baustelle alles stehen und liegen lassen. „Da kann man nichts machen“, sagt der Bezirksamtsleiter. „Jetzt machen wir erst mal das hier – und morgen machen wir was anderes.“

Die Feuerwehr steht mit einem Wagen vor dem Gebäude, ein paar Polizisten laufen herum, Mitarbeiter der Bezirksamtes gehen mit Smartphones am Ohr vor der Halle auf und ab. In der engen Kleiderkammer sortieren Ehrenamtliche die neu eingetroffenen Spenden. Auch Fußbälle sind darunter – ein paar Jungs warten ungeduldig vor der Tür darauf, dass sie ausgegeben werden.

Zwei Bundeswehrsoldaten sorgen auf Anweisung des Bezirksamtsleiters dafür, dass auf dem Parkplatz nicht mehr jeder parkt. Ein schwarzglänzender Mercedes fährt an den beiden vorbei, ein älterer Herr ruft: „Das ist doch eine Schande, was ihr hier machen müsst. Ihr seid doch Soldaten.“ Und braust davon. Die Soldaten zucken mit den Schultern und grinsen.

Sanitäter kümmern sich in einer Halle um ein Kind, dem schlecht geworden ist. „Hier haben sich schon einige Kinder übergeben“, sagt Nastiç. Womöglich liegt es an den hygienischen Verhältnissen: Nur in den drei Kundentoiletten des ehemaligen Baumarktes kann man sich die Hände waschen – die sind inzwischen in erbärmlichem Zustand.

„Wir können die Standards, die wir uns wünschen, nicht mehr einhalten“, räumt Frank Reschreiter, Sprecher der Innenbehörde, ein. „Unsere Maßgabe ist es, Obdachlosigkeit zu vermeiden.“ Wenn täglich bis zu 600 Flüchtlinge nach Hamburg kämen, wie in der vergangenen Woche geschehen, seien kurzfristige Notmaßnahmen wie die in Eidelstedt unvermeidbar. Die Stadt habe den ehemaligen Praktiker-Baumarkt erst am Freitag anmieten können – zu diesem Zeitpunkt habe man keinen Betreiber mehr finden können, der die notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen übernimmt. F&W werde ab Dienstag, den 6. Oktober den Betrieb übernehmen, bis März 2016 sei die Halle nutzbar.