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Oz-Nachruf

Der Sprühling ist tot. Es lebe der Sprühling!

 

Der Unermüdliche, der manische, der Mann, der laut Bild-Zeitung „Hamburgs schlimmster Schmierer“ war: Er lebt nicht mehr. Auf einer Metallabdeckung zwischen zwei S-Bahn-Gleisen hat er seinen letzten Tag gesprüht. Der letzte seiner unverkennbaren Sprühkringel. Dann erfasste ihn der Zug und verletzte ihn tödlich. Das wars. Keinen neuen „Oz“-Tags mehr. Keine Smileys mehr und auch die entfernt an Keith Haring erinnernden Wandbilder mit den knallbunten Figuren wird er nicht mehr sprühen. „Sprühling“ war eines seiner Lieblingsworte.

Ein Künstler? Für die Polizisten der 12-köpfigen „Sonderkommission Grafitti“, für die Hochbahn-Security, die Bild und für viele Saubermänner und –frauen in der Hamburger Politik war er nur ein armer Irrer, der eingesperrt gehört. Eine „Persönlichkeitsstörung“ attestierte die Staatsanwaltschaft dem Mann, der 1950 als Walter F. geboren wurde. Weil er nicht aufhören wollte. Weil er – obwohl er insgesamt acht Jahre seines Lebens im Gefängnis verbringen musste – weitersprühte und weitersprühte. Keine Strafe konnte ihn abhalten.  Und auch nachdem ihn S-Bahn-Wachleute Ende der Neunziger fast zu Tode geprügelt hatten, macht er weiter. „Was heißt schon besessen?“ sagte er in einem Interview. „Ich sage mir immer: Es gibt noch viel zu tun. Ich habe kein schlechtes Gewissen dabei, die Landschaft zu verschönern.“

Oz war ein schmächtiger, unscheinbarer Typ, mit wachen Augen und geradezu kindlichem Enthusiasmus – und natürlich war es leicht, seine nuscheligen Tiraden über die „Saubernazis“ und den „krankhaften Putzwahn“ der Gesellschaft, gegen den er sprühend zu Felde zog, zu pathologisieren. Er war vollkommen anders als die urbanen Street-Artists, die ihn als den Härtesten aller Hartnäckigen verehren. Dennoch war er ein Künstler und ein Rebell – ganz im Sinne jenes „Aufstands der Zeichen“ den Jean Baudrillard in seinem gleichnamigen Essay von 1975 über die frühe New Yorker Graffiti-Szene analysiert hat: Graffiti, so der französische Philosoph, ist das Medium derer, die in postindustriellen Metropolen nur für die Rolle der Konsumenten vorgesehen seien. Die Sprayer sind angetreten, um die „urbane Ordnung der Zeichen“ zu stören.

Denn genau das hat ihn wohl angetrieben: Die bestehende Ordnung aufzumischen, wenigstens auf der Ebene der Signifikanten. Unermüdlich attackierte er die grauen Wände der Stadt, Herrschaftszeichen jener falschen Ordnung, die ihn zeitlebens verächtlich aussortiert hatte. Er war ein uneheliches Kind, der Mutter als Säugling weggenommen und in einem Heim aufgewachsen. Verspottet wegen seiner Gaumenspalte, die ihm die Aussprache erschwerte, ein „überflüssiges Objekt“ in einem katholischen Waisenhaus, wie er selbst gegenüber dem Journalisten Sven Stillich formuliert hat. Mit 15 in eine Erwachsenenwelt entlassen, die keinen Platz für so einen Sonderling hatte.

Schon als Jugendlicher wird er zum Globetrotter, reist durch Indien, Afghanistan und Thailand. Im Deutschen Herbst 1977 – ausgerechnet – lernt er  bei RAF-Sympathisanten das Sprayen: „Es lebe die RAF!“ schreibt er auf eine Hauswand. Doch die Sprühdose nur als Werkzeug für Politslogans? Das ist ihm zu wenig. Er wird das, was die Hip-Hop-Szene später einen Writer nennen wird: Er verewigt sich, in Form des „Oz“-Kringels oder durch seine bunten Smileys. Wann genau aus Walter F. der Sprayer Oz geworden ist, liegt ein wenig im Dunkeln. Der erste Prozess wegen Sachbeschädigung findet 1986 statt, die erste Verurteilung im Jahre 1992.

Dass er immer weitermachte, dass er trotz Prügel und Pathologisierung, trotz Gefängnis und Geldstrafen immer und immer wieder seinen Rucksack schulterte, um seine Smileys und „Oz“-Tags zu sprühen, hat ihn zum Helden der Street-Art-Szene gemacht und zum Protagonisten des Widerstands gegen „eine uralte, tiefsitzende bürgerliche Verachtung gegenüber anderen Lebensentwürfen“, wie es das Bündnis „Free Oz“ in einem Flugblatt anlässlich eines Sachbeschädigung-Prozesses vor ein paar Jahren formuliert hat. Walter F. selbst hat diese Protagonistenrolle nie gesucht. Er hat sie hingenommen und sich vielleicht ein wenig geehrt gefühlt – er, dem man zeitlebens nie Ehre und wenig Respekt gezollt haben dürfte. Auch auf den Ausstellungen seiner Werke, die in den letzten Jahren vereinzelt stattgefunden haben, hat er sich nicht in den Mittelpunkt gerückt, sondern mehr vorsichtig beigewohnt.

Vielleicht ist das mit dem „anderen Lebensentwurf“ auch eine arg positivistische Phrase. Vielleicht hat er, der scheue, schmächtige Mann vor allem versucht, einer schrecklichen Prägung mit aller Kraft, die ein Individuum aufbringen kann, zu entkommen. Selbstbewusst und trotzdem unfrei. Dass ihm so viele Menschen ihre Sympathie dafür gezeigt haben, wie er Hamburg bemalt hat, dass er so viel Solidarität erhalten hat, dass Unterstützer so hartnäckig Widerspruch eingelegt haben gegen eine Rechtsprechung, die für Graffiti Strafmaße verhängt als handele es sich um Totschlag: All das hat ihm, hoffentlich, die letzten Jahre seines Lebens angenehm gemacht. In den Leser-Postings unter den Onlinemeldungen über seinen Tod bleiben die hämischen „Schmierer“-Kommentare bislang in der Minderheit. Womöglich hat Walter F. alias Oz gar uns allen ein bisschen den krankhaften Putzwahn ausgetrieben – es wäre kein geringer Verdienst. Es lebe der Sprühling!