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Erstaufnahme Schnackenburgallee

Nur ein Zelt

 

Hosam und Mahmud sind aus Syrien nach Hamburg geflüchtet. Jetzt hoffen sie auf eine feste Unterkunft. Ein Besuch in der Erstaufnahme an der Schnackenburgallee

Von Lea Freist, Autorin der „Eimsbütteler Nachrichten“

„Das ist mein Bett“, sagt Hosam und deutet auf eine schmale Pritsche, auf der eine zusammengeknüllte Wolldecke liegt. Sechs Etagenbetten stehen eng gestellt in dem weißen Zelt, der Boden ist aus Sperrholzplatten zusammengezimmert. Hosam wohnt mit elf weiteren Männern hier. Es gibt nur eine Lichtquelle für den gesamten Raum, keine Steckdosen, weder Klimaanlage noch Heizung. Der 24-jährige Syrer hatte gerade sein BWL-Studium in Damaskus abgeschlossen, als er mit seinem älteren Bruder fliehen musste. Auf der Reise haben sie sich verloren. Der ältere ist nun in Regensburg, der jüngere hat noch dessen Pass bei sich in Hamburg. Ihr Vater hat das Haus verkauft, um die Schlepperbanden bezahlen zu können. Hosam ist über die Türkei, Mazedonien und Griechenland geflohen. Ganz genau erinnert er sich nicht mehr.

Hosam lebt seit drei Wochen in der Zentralen Erstaufnahme (ZEA) an der Schnackenburgallee in Hamburg. Ebenso wie sein Freund Majed aus der Stadt Latakia in Syrien, der auf einem grau-pinken Damenrad vor dem Zelt Fahrradfahren übt. Eine Narbe zieht sich über seine rechte Wange. Er habe für Assad gekämpft, dann sei er vor der Armee geflohen, er sei ein Deserteur, übersetzt Hosam für seinen Freund, während der wackelige Kreise dreht.

Heute sollten die beiden in eine Folgeunterkunft umziehen. Aber keiner sei gekommen, sagt Hosam und hält die eingeschweißte Karte mit einem gestempelten Datum fest, die an seinem Hals hängt.

Mahmud aus Pakistan, der gebrochenes Deutsch spricht, zeigt mit seinen Händen die Anzahl der Monate, die er schon in der Schnackenburgallee ist, acht Finger hält er in die Höhe. Keiner sage ihm etwas Genaueres: „Ich weiß nicht, wo ich hinkommen werde“, sagt der 26-Jährige kopfschüttelnd.

Glasige Augen und Halsschmerzen

In den ZEA werden alle Asylbewerber aufgenommen, wenn sie neu nach Hamburg kommen. Hier entscheidet sich, ob ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird oder ob sie aufgefordert werden, auszureisen.

Eigentlich sollen Flüchtlinge hier nur kurz sein – maximal drei Monate. Derzeit leben in der größten der zehn ZEA Hamburgs an der Schnackenburgallee mehr als 2.400 Menschen aus aller Welt, vor allem Syrer, Afghanen, Albaner und Eritreer. Auf engstem Raum zusammen – untereinander können sie sich meist nicht verständigen.

Direkt an der Autobahnausfahrt Volkspark, neben der alten Müllverbrennungsanlage, auf den ehemaligen Parkplätzen des HSV-Stadions, stehen Container, Zelte und mobile Toiletten. Blaue Müllsäcke stapeln sich. Die meisten der Flüchtlinge sitzen in kleinen Gruppen auf Steinplatten oder im Gras.

Hosam bekommt keinen Deutschkurs in der Zentralen Erstaufnahme in der Schnackenburgallee. Dabei will er doch unbedingt lernen. Und vor allem: Er muss dringend den Pass seines Bruders verschicken, in der Poststelle der ZEA stehen alle Informationen nur auf Deutsch. Sendungen werden hier nur angenommen, gar nicht verschickt, erfährt er nach langem Hin und Her. Nach dem Regen ziehen sich braune Fußstapfen durch die Container-Flure bis in die Toiletten. Hosam war die vergangenen Tage stark erkältet, hatte glasige Augen und Halsschmerzen.

Er ist nicht der Einzige, der mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. Wo viele Menschen auf engem Raum leben, breiten sich Krankheiten leicht aus. Immer wieder kommt es in der Schnackenburgallee auch zu Krätze-Fällen. Die Gesundheitsbehörde ist davon nicht überrascht. Laut Behördensprecher Rico Schmidt sind Krätze-Infektionen unter diesen Umständen „zu erwarten“. Wie viele genau, kann die Behörde aber nicht sagen.

Das Zelt flattert im Wind. Tage mit gutem Wetter, wie beispielsweise beim Besuch des Schwabinggrad Balletts, einer Kunst-Aktionsgruppe, werden seltener. Es sei oft dreckig, sagt der junge Mann. Er wünsche sich seine eigenen vier Wände. Aber erst einmal würde ihm ein Platz in einer Folgeunterbringung genügen.