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FC St. Pauli

Auuaaahhh!

 

Unser Autor hat in der Kneipe verfolgt, wie der FC St. Pauli in Heidenheim verlor – und dabei stark gelitten. Eine bittere Wahrheit wollte er trotzdem nicht aussprechen.

Das ganze Spiel tat weh, und am wehesten tat es in der 55. Minute. Unser Stürmer John Verhoek hatte sich zum Kopfball in den Heidenheimer Himmel geschraubt, und als die Fernsehbilder danach seine Landung zeigten, da ertönte auch bei der zweiten Wiederholung in der Eimsbütteler Kneipe namens Sonnenseite vielstimmiges Gestöhn: „Auuaaaahh!“ Einer rief: „Warum schaut ihr überhaupt hin, wenn es doch wehtut?“

Dann zeigte Sky die dritte Wiederholung. In Superzeitlupe konnten alle erneut sehen, wie Verhoek mit seinem Huf aufsetzte, respektive nicht aufsetzte, sondern vielmehr wegknickte. Der Fuß bildete kurzzeitig einen astreinen rechten Winkel zu Schien- und Wadenbein. Wieder das vielstimmige Gestöhn. „Bänderriss“, sagte ich zu Klaus, der trotz der Horrorbilder entspannt an seinem Milchkaffee herumschlürfte (Meine Vermutung sollte einen Tag später noch übertroffen werden. Die Diagnose: doppelter Außenbandriss und ein Innenbandanriss im rechten Sprunggelenk). Und als ich das sagte, rief der Mahner am Nebentisch erneut in den verrauchten Kneipenraum hinaus: „Dann guckt doch nicht hin, wenn’s wehtut!“

Was der Herr nebenan nicht bedachte: Hätten an diesem Sonntagnachmittag in der Sonnenseite alle immer weggeschaut, wenn es wehtat, wir hätten uns 80 Minuten lang umdrehen oder am besten den Fernseher ausschalten müssen. Denn der erste schmerzende Stich ins sanktpaulianische Fußballfreundeherz erfolgte bereits nach wenigen Sekunden: die erste von mehreren Heidenheimer Chancen in der Anfangsviertelstunde.

Zwischenzeitlich gewährten uns die Kiezkicker zehn schmerzbefreite Minuten – mit einem Pfostenschuss von Enis Alushi und einem Fasttor durch Marc Rzatkowski von der Mittellinie als Höhepunkte einer Offensivperiode. Danach tat es wieder nur noch weh: Torhüter Himmelmann, meist sicherer Garant für wenige Gegentore, patzte. Er ließ einen scharf geschossenen Ball nach vorne abprallen, dem Heidenheimer Thomalla vor die Füße. Auuaaahhh! Und der Rückstand bewirkte keine Reaktion von unserer Seite, stattdessen Fehlpässe und rumpelnde, ungelenke Angriffsversuche: Auuaaaahhh! Schließlich in der 81. Minute ein Konter des Gegners, die St.-Pauli-Defensive ausgespielt: Auuaaahhh!

Das dritte Spiel in dieser Englischen Woche manifestierte die Misere, in die wir momentan hineingeraten. Eine komplett platte Elf spielt mit dem letzten Hemd. Sie agiert saft- und kraft- und ideenlos und musste sich von Heidenheim, einer Mannschaft aus dörflichster baden-württembergischer Fußballprovinz, fast das ganze Spiel über dominieren lassen. Am Ende stand eine verdiente 0:2-Niederlage.

In den letzten Spielminuten begannen Klaus und ich mit der Analyse. „Wenn wir verlieren“, sagte ich, „dann sind wir fünf Punkte hinter Nürnberg.“ Klaus antwortete: „Und Nürnberg ist in Topform.“ Mit deprimierenden Blicken schauten wir uns an. Fünf Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz. War es das mit dem Aufstieg?

Keiner getraute sich, diese Wahrheit auszusprechen. Endlich ertönte der Schlusspfiff. Immerhin der tat nicht mehr weh. Er war die Erlösung.