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FC St. Pauli

Wo bitte ist das Ziel?

 

Weil der FC St. Pauli sich Ehrgeiz nicht zutraut, droht jetzt wieder mal der Ausverkauf der Mannschaft. Hat denn hier keiner Bock auf Erfolg?

Den vergangenen Freitagabend mit drei geschossenen Toren und einer unnötigen Niederlage musste ich ohne Carlos, die personifizierte Meckerecke, verbringen. Carlos hatte sich in den Skiurlaub verabschiedet und die Karte an Georg weitergegeben, der nun neben mir auf der Gegengeraden stand. Schon vor dem ersten Tor der Paderborner, mit dem die Ostwestfalen unsere allerletzten Aufstiegshoffnungen zu zerhäckseln begannen, schwante Georg und mir, dass Carlos viel zu sagen gehabt hätte an diesem ungemütlichen Wochenendanfang.

Unsere Jungs versemmelten eine Chance nach der anderen. Also sprach Georg: „Uns fehlt einer, der vorne die Tore macht – würde Carlos jetzt sagen.“ Ich antwortete nach dem ersten Gegentreffer: „Wir sind nicht so gut, wie der Tabellenplatz verrät – würde Carlos jetzt sagen.“ Worauf Georg sich nach dem 2:0 wieder meldete: „Wir brauchen einen, der im Mittelfeld die Bälle verteilt – würde Carlos sagen.“ Schließlich gab ich am Ende, nachdem die 3:4-Niederlage feststand, über unsere Mannschaft noch zum besten, was Carlos bestimmt gesagt hätte: „Die sind nicht besser.“

Danach, im Abstand von zwei bis drei Tagen zu diesem jüngsten Untergang, wurde mir klar, dass Carlos seit dem Abpfiff am Freitagabend kaum zur Ruhe gekommen wäre. Es wird nämlich eintreten, was Carlos seit Jahren mit Unkenrufen voraussagt.

Die Anzeichen dafür höre und lese ich seit Tagen rauf und runter: Spekulationen darüber, welche Spieler den Verein am Saisonende verlassen könnten. Nach Lennart Thy und John Verhoek vielleicht Abwehrchef Lasse Sobiech. Der kann angeblich, wenn ein Erstligist anklopft, ablösefrei verduften. An Marc Rzatkowski baggern laut Gerüchten die Bremer herum – und ich kenne noch ein Ratsche-Gerücht. Aus extrem zuverlässiger Quelle. Verrat ich aber nicht.

Sebastian Maier soll mit dem HSV und dem VfB Stuttgart flirten. Enis Alushi denkt nach. Für Waldemar Sobota müssen wir erst eine Kaufoption ziehen, damit er bleibt. Ob der ausgeliehene Ante Budimir, beim italienischen Zweitligisten FC Crotone zur Torgranate gereift, zurückkehrt, ist ungewiss. Und Marc Hornschuhs aktueller Vertrag endet Mitte des Jahres.

Das bedeutet: Steigen wir nicht auf (wovon nun auszugehen ist), beginnt der Ausverkauf. Und in jedem Frühling seit zehn Jahren, wenn uns exakt diese Aussicht droht, bekomme ich von Carlos gebetsmühlenartig zu hören, was die Ursache allen Übels ist: „Der Verein sagt nie, dass er nach oben will.“

Dies sollte er aber schleunigst tun. Denn dieses Versäumnis bricht uns auch jetzt wieder das Genick. Sogar als wir noch in Schlagdistanz zu den potenziellen Aufsteigern kickten, äußerten weder Vorstand noch Trainerstab die Absicht, aufsteigen zu wollen. Diese Haltung ist laut Carlos der mutlosen Überzeugung geschuldet, dass „die Zweite Liga ja ach so schön kuschelig“ sei und man deshalb „gar nicht höher hinaus“ wolle.

Die Konsequenzen dieser Absichtslosigkeit fliegen uns Jahr für Jahr um die Ohren. Während Rivalen wie Leipzig, Freiburg, Nürnberg (oder auch erfolglosere wie Kaiserslautern) erstrebenswerte Ziele formulieren und ihre Spieler damit (und etwas supplementierendem Kleingeld) zur Vereinstreue motivieren, läuft dem beliebten FC St. Pauli regelmäßig ein großer Teil der Besten davon. Außerdem hindert er Leistungsträger daran, sich uns anzuschließen.

Die sanktpaulianische Angst vor ehrgeizigen Zielen ist längst ein Ärgernis. Offenbar fürchtet im Verein jeder, abgestraft zu werden, wenn nicht erreicht wird, was man sich vorgenommen hat – und vergisst, dass Ziele motivieren. Sie motivieren allerdings nur, wenn sie anders lauten als „Abstieg verhindern“. Großartige Spieler wie Philipp Ziereis und Robin Himmelmann setzen die Latte längst höher – für sich.

Sollte der Verein als Ziel für die kommende Saison einen kuscheligen Mittelfeldplatz avisieren – dann möchte ich in den nächsten Jahren an einem Ort auf keinen Fall stehen müssen: neben Carlos.