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Roger McGuinn im Gruenspan

Große Momente von anrührender Brüchigkeit

 

Alternde Rockstars mit Hut, autsch! Schon bei Leonard Cohen schwierig, immerhin trägt er Anzug. Beim Jeanstypen Roger McGuinn ergibt es erst Recht keinen Sinn. Aber er hat nun mal den schwarzen Fedora mit roter Ansteckfeder seit einigen Jahren zur Trademark erhoben. Was will man alten Männern über Mode erzählen? Sie wissen es ja eh besser. Außer vielleicht: Ehefrau Camilla findet den Look mit Hut und Lederweste irgendwie pfiffig?

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Roger McGuinn mit Hut, 2013 in Kalifornien © Frazer Harrison/Getty Images for Stagecoach

Insgesamt erinnert der 72-jährige Amerikaner, der auf einer Klavierbank Platz nimmt, mit gepflegtem Henriquatre-Bart und Studienratbrille eher an Roger Whittaker als an den L.A.-Hipster der sechziger und frühen siebziger Jahre. 200 Zuschauer im besten Alter haben den Weg ins bestuhlte, fast schon feierlich abgedunkelte Gruenspan angetreten, um einem ihrer Jugendhelden die Ehre zu erweisen – auch finanziell.

Damals, zu Zeiten der beiden Welthits Mr. Tambourine Man und Turn! Turn! Turn!, flossen die Tantiemen wegen der strengen Plattenfirmen- und Verlagsverträge nicht so reichlich. Fast 50 Jahre später lässt sich McGuinn – Tourmotto: „The Mastermind Of The Byrds“ – seine Soloauftritte gut bezahlen, was sich im Eintrittspreis von fast 50 Euro niederschlägt.

Andächtig wird den gut 30 Songs gelauscht, unterbrochen von vielen historischen Anekdoten. Es ist alles dabei, von den Anfängen als Brill-Building-Lohnkomponist für Bobby Darin und den Byrds-Klassikern wie Mr. Spaceman und You Ain’t Going Nowhere über seinen letzten Solohit King of The Hill (1991), komponiert zusammen mit Tom Petty, bis zu den überlieferten Folksongs und Shanties seines aktuellen Internet-Projekts Folk Den. McGuinn macht seine Zwischenansagen nicht zum ersten Mal, das lässt sich auf der Anfang des Jahres herausgekommenen Live-Doppel-CD Stories, Songs & Friends nachhören.

Vieles wirkt einstudiert, kleine Späßchen („Ach, Du kennst jemanden, bei dem wir umsonst aufnehmen können? Ok, Du bist in der Band!“, über das neue Byrds-Mitglied David Crosby) bleiben etwas hölzern. Dennoch erfreuen immer wieder Details, die Kenner der Westcoast-Rock-Szene zum Schmunzeln bringen. Aus seinem wiedererzählten Gespräch im Tourbus mit Joni Mitchell während der berühmten Rolling-Thunder-Tournee 1975 lernen wir: Er nannte sie Joni, sie nannte ihn McGuinn.

Er wechselt zwischen einer siebensaitigen (!) Westerngitarre von Martin und einer cremefarbenen elektrischen „Rickenbacker Twelve“, wie er das legendäre, den Byrds-Sound prägende 12-saitige Instrument in der Story über die Aufnahmen zu Bob Dylans Soundtrack für Pat Garrett & Billy The Kid nennt. Das Gitarrenspiel ist inzwischen, wenn auch stellenweise virtuos, eher verhalten, vorsichtig, fast schon zögerlich.

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Sechziger-Jahre-Hipster: Roger McGuinn mit Sonnenbrille (mit den Byrds) © Keystone/Getty Images

Gene Clark, David Crosby, Chris Hillman und später Gram Parsons waren stets die besseren Sänger der Byrds. Doch McGuinns schon immer dünne und hohe Stimme, jetzt naturgemäß gealtert, verleiht diesem Solovortrag fast aller wichtigen Songs seiner Karriere eine Brüchigkeit, die anrührt. Im Refrain zu Don’t You Write Her Off, dem Radiohit des als „Discoplatte“ verschmähten Albums McGuinn, Clark & Hillman (1979), gewinnt die Stimme plötzlich an Volumen, er wiegt den Kopf hin und her und schlägt den Takt mit beiden Füßen, seine Verzückung überrascht – ein großer Moment innerhalb eines eher kleinen, wie auch sonst im Set kurz und bündig vorgetragenen Liedes.

Man spürt, und man merkt es während der gesamten Show, dass er irgendetwas in dieser Musik wirklich und immer noch liebt. Vor der Pause kommt Knockin’ on Heaven’s Door zum Vortrag, und wer hätte es für möglich gehalten, dass dieser in den Stadien der Welt kaputtgerockte No-go-Klassiker in McGuinns zurückgenommener, vom Publikum betont leise mitgesungenen Version eine Träne zum Kullern bringt?

Roger McGuinn ist gläubiger Christ, wenn auch nicht von solch unbarmherziger Strenge wie sein alter Genosse Chris Hillman, der inzwischen „Bekehrung“ auf seine Fahnen geschrieben hat. Dazu kann man stehen, wie man will, und es spielt keine offensichtliche Rolle im Konzert. Doch die leichte Entrücktheit, gepaart mit der Fragilität seines Liedervortrags und dem wie ferngesteuerten Erzählen seines Lebens machen einen ganz besonderen Reiz aus. Es ist wichtige, unumstößliche Geschichte und Vergänglichkeit in einem: Sieht man diesen bedeutenden Künstler jemals wieder?