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St. Pauli Gegengerade

Ich wollte einen Stürmer

 

St. Pauli gewinnt gegen Fürth, auch ohne Neuzugang. Urs Willmann hat sich das Spiel im Clubheim angesehen – und niemandem seinen geheimen Weihnachtswunsch verraten.


Nach ein paar Minuten ist mir angst und bange. Greuther Fürth schießt sich ein. Torhüter Robin Himmelmann bekommt nur mit Glück nach 100 Sekunden ein paar Fingerknochen hinter den Ball und lenkt ihn knapp über die Latte. Dann flitzt die Kugel am linken Pfosten vorbei. Wenn es so weitergeht, sag ich zu Fred, der neben mir im Clubheim sitzt, dann sehen wir bald von Nürnberg, Bochum, Braunschweig, Kaiserslautern und dem KSC nur noch die Rücklichter. Und von Freiburg und den Roten Bullen gar nichts mehr.

Fred brummt. Er hat mir zuvor in einem viertelstündigen Monolog minutiös erklärt, warum es heute nur einen Sieger geben könne: uns. Weil der Lienen, sagte Fred, richtig entschieden habe. Im Gegensatz zu den Fürthern. Die haben sich mit sechs neuen Spielern in der Winterpause hochgerüstet. Unser Lienen ganz anders: Er wolle mit dem bestehenden Spielermaterial auskommen. Gut so, fand Fred. Der Lienen verzichte klugerweise auf ausgeliehene Söldner.

„Die würden eh in sechs Monaten weiterziehen, dem Geld hinterher, ohne was gerissen und die Namen der Mitspieler gelernt zu haben“, sagte Fred und stilisierte in den danach folgenden Sätzen das bevorstehende Spiel zum Duell der Philosophien hoch. Die Panikeinkäufer aus Fürth gegen die homogene, eingespielte Lienentruppe aus St. Pauli. Kurzfristiges Denken gegen Nachhaltigkeit. Idiotie gegen Vernunft. Mr. Hyde gegen Dr. Jekyll.

Fred übertreibt halt manchmal. Trotzdem hoffte ich, dass er mit seinem nächsten Satz recht behalten würde: „Du wirst sehen: Wir steigen auf und Fürth bleibt dümpelnd unten drin.“ Dann nahm Fred einen kräftigen Schluck Bier und gab mir so erstmals seit langem Gelegenheit, zu Wort zu kommen. Ich nutzte sie nicht, ich nahm auch einen Schluck, denn das Spiel hatte begonnen.

„Glaubst Du mir jetzt, dass Wintereinkäufe nichts bringen?“

Vom Freds prophezeihtem Aufstieg ist eine Viertelstunde lang nichts zu sehen. Und das Dümpeln scheint eher unsere Taktik zu sein als die von Fürth. Offensichtlich haben Lienens Jungs von der Winterpause direkt in den Winterschlaf rübergewechselt. Ich schaue in die Runde: Hundert Menschen im Clubheim. Nicht nur mir, allen ist angst und bange.

Aber dann. Es kommt die Zeit, in der ich mehrmal fast mein Bier verschütte. Denn Fred kann sehr störend sein, wenn er einem per Ellbogencheck weismachen will, dass er Recht behält. Nach dem ersten Feuerwerk der Fürther passiert nämlich nichts wesentlich Fränkisches mehr auf dem Platz. Die hochgerüstete Fürther Elf gibt Himmelmann kaum noch zu tun.

Stattdessen erst Hornschuh, dann Sobota – zwei zu null. Mit jeder gelungenen Aktion von St. Pauli bekomme ich Freds angewinkelte Extremität zu spüren. „Glaubst Du es mir jetzt?“, fragt er, „glaubst Du mir, dass Wintereinkäufe nichts bringen?“

Ich glaube ihm. Aber nur, weil ich meine Ruhe haben will. Ich verrate Fred nicht, dass ich mir zu Weihnachten einen Stürmer gewünscht habe. Einen Stürmer, der uns nach oben schießt. Vielleicht rücke ich damit raus, wenn die Zeiten wieder schlechter sind.