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Jamie T

Jamie T ist zurück und sieht toll aus

 

„In fine english tradition“: Punk-Singer-Songwriter Jamie T stellt im ausverkauften Hamburger Mojo Club sein drittes Album „Carry On The Grudge“ vor.

„Das ist hier doch keine Bibliothek!“ Jamie T hätte es gerne etwas lebhafter, so wie kürzlich bei der frenetisch gefeierten Comeback-Tournee in Australien oder wie in Berlin am Vorabend. Doch der Mojo Club mit seiner ausgetüftelten Jazz-Akustik ist eher zum Zuhören konzipiert und für Rockkonzerte wahrlich ungeeignet. Der Terminus „strange venue“ kommt dem 29-Jährigen mehrfach über die Lippen. Am Ende aber wird doch noch viel gesungen, getanzt und gejubelt, auch Dank einiger refrainsicherer englischer Touristen.

Ausverkauft nach fünf Jahren Sendepause: Jamie T ist zurück, und er sieht toll aus! Oberhemd und Slipper statt Adidas-Sweater, die langen schwarzen Haare mit reichlich Pomade streicht er ständig nach hinten – ein Wunder, dass ihm nicht ständig das Plektrum aus den Fingern glitscht. Er spielt inzwischen Gitarre statt Bass, begleitet von einer neuen vierköpfigen Band, die sich in bestechender Form präsentiert.

Ob die Tournee im Herbst 2014 wirklich grippebedingt abgesagt wurde, oder ob er einfach nur im Stimmungstief war – wer weiß. Gut ging es Jamie T in den letzten Jahren jedenfalls nicht. Nach den Top-5-Alben Panic Prevention (2007) und Kings & Queens (2009) wurde er als „der neue Joe Strummer“ gefeiert, vor allem in England lagen ihm die Fans zu Füßen. Die Vergleiche mit The Clash und The Streets waren keinesfalls zu weit hergeholt. Jamie Treays, der schnodderige Youngster aus Wimbledon, zeigte enormes Talent, vermischte Punk- und Pubrock mit HipHop und Reggae und sang mit heiserer, eindringlicher Stimme.

Doch statt Höhenflug und Welttournee folgten Leere, Kummer und Trübsal. Medikamente gegen Depressionen, schwere Krankheit des Vaters, allgemeine Sinnkrise mit 23. On top: Anklage wegen schwerer Körperverletzung mit doppeltem Kieferbruch nach einer Kneipenschlägerei. Trotz Freispruchs („Notwehr“) muss man in diese Situation erstmal kommen. Diverse Gerüchte kursierten, und 2012 startete die Internetsuche „Where is Jamie T?“.

„An schlechten Tagen kann ich nicht aus dem Haus gehen“, verriet er dem Guardian kürzlich, und davon gab es in den letzten fünf Jahren offenbar einige. Viel Zeit, um neue Songs zu schreiben, und das tat Treays unentwegt – fast zweihundert Songs haben sich angesammelt. Sein Freund, der Blur-Sänger Damon Albarn, riet ihm: „Komponiere mit Herzblut. Kümmere Dich nicht um die anderen.“ Gesagt, getan, und schon ist einigen das neue Album Carry On The Grudge zu sehr innengerichtet, zu mellow.

Entsprechend langsam und konzentriert beginnt auch das Konzert mit den ersten beiden Stücken der Platte, Limits Lie und Don’t You Find. Erst bei der Uptempo-Nummer Salvador vom Debütalbum gibt es nennenswerte Reaktionen im Publikum. Der aufgeräumt wirkende Treays dreht derweil den Mikrofonständer und singt Richtung Seitenwand. Das wirkt, ohne große Popstar-Geste, linkisch und unangepasst. Die ganze Show lebt von Understatement und brillant gespielten Songs. Das muss reichen. Auf das bisher erfolgreichste Stück Calm Down Dearest (2007, Platz 9 in England) wird dabei sogar verzichtet.

Reichlich unisono gesungene „ohohoo“-Backup-Gesänge wie in der aktuellen Single Rabbit Hole: Eine Gratwanderung, sowas wird schnell rockistisch und anbiedernd! Hier: nicht zu laut im Mix, sehr cool, sehr viril, wie beim frühen Bruce Stringsteen. Den fulminanten Backbeat dazu liefert eine Frau mit Dutt: Vicky Jean Smith arbeitet stoisch und hochkonzentriert hinter ihrem Schlagzeug, auch die den programmierten Grooves der Studioaufnahmen nachempfunden Figuren gelingen ihr ebenso maschinengleich wie beseelt. Den wilden, dumpfen Sound ihres Instruments treibt sie mit der Snaredrum auf die Spitze, sie klingt wie eine alte Waschmitteltonne aus Pappe. Smith ist keine Unbekannte, sie spielte schon mit den Electro-Acts M.I.A. und The Big Pink.

Nach dem stromlinienförmigen Rocker Zombie, letzter UK-Chartserfolg und erste Zugabe, huscht das erste Mal ein Lächeln über ihr Gesicht. Sogleich folgt die nächste durchgedroschene Nummer, Sticks ’n’ Stones, der Hit von Platte Nummer zwei. Und Schluss. 75 Minuten staubtrockenes, knorriges No-Bullshit-Entertainment mit Cockney-Akzent. Ziemlich gut.