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Kindertagesstätte

Kurort-Mentalität in der Großstadt

 

Eine Kita muss schließen, weil die Kinder zu laut sind? In Hamburgs Zentrum, zwischen Bars und Motorenlärm? Klingt vorgestrig, aber diese Zeiten sind noch nicht vorbei.

Sich über dieses Urteil aufzuregen ist kinderleicht – jedenfalls auf den ersten Blick: Das Amtsgericht St. Georg verbietet eine von Tagesmüttern betriebene private Kita in der Brennerstraße. Nachbarn hatten geklagt, weil die Kinder zu laut waren. Im Ernst? Im Jahr 2016? In Hamburg? Und damit kommen die auch noch durch? Ja. Es ist aber zu billig, nun das Amtsgericht als kinderfeindlich zu beschimpfen und gleich wieder die Parole von der intoleranten Stadt auszurufen. Kinderfeindlich und intolerant ist in diesem Fall nicht der Richter – sein Spielraum war begrenzt.

Man muss nicht drum herumreden: Kinder können nerven. Selbst für liebende Eltern gibt es angenehmere U-Bahn-Fahrten als solche mit einer aufgekratzten Schulklasse im Abteil. Auch dieser Restaurantbesuch letztens, als eine Familie ihren Nachwuchs über Tische und Bänke rasen ließ, war nicht der schönste. Das sind Momentaufnahmen. Wer aber in einem Haus eine Wohnung kauft, in das nach ihm eine Kita zieht, für den wird die Momentaufnahme zur Dauerbeschallung. Der mag sich schon mal wünschen, die Fläche unten im Haus hätte lieber ein Verkäufer für orthopädisches Schuhwerk bezogen.

Allein: Die Brennerstraße ist keine Seitengasse in Bad Wildungen – sondern mitten in St. Georg. In eines der belebtesten Viertel Hamburgs zu ziehen und dann zu jammern, dass das Leben dort Geräusche macht, zeugt von einer Kurort-Mentalität, die im Zentrum einer wachsenden Großstadt auch auf lange Sicht problematisch werden dürfte. Denn selbst wenn die Tagesmütter wirklich ausziehen müssen, wird das Viertel rund um den Hauptbahnhof nicht aufhören, Lärm zu machen.

Der konkrete Fall ist auch deshalb irritierend, weil es eben nicht um irgendeinen Lärm geht. Nicht um Busse, Gastronomie, Harley Days. Sondern um Kinder. In deren Natur liegt es eben, dass sie nicht flüsternd durchs Leben schleichen. Wenn es gut läuft, ist das Gegenteil der Fall. In der öffentlichen Debatte hat sich für dieses Gegenteil das Wort „Kinderlärm“ durchgesetzt. Schon die Vokabel ist nicht wertfrei, aber immerhin weniger sperrig als „Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden“. So steht es seit dem Jahr 2011 im Bundesimmissionsschutzgesetz, das „Kinderlärm“ gegenüber sonstigem Lärm privilegiert. Vereinfacht gesagt: Singen, Lachen, Weinen, Rufen, Schreien und Kreischen, aber auch Geräusche durch Spielen, Laufen, Springen und Tanzen sowie Rufe von Betreuern gelten qua Gesetz nicht als schädliche Umwelteinwirkungen und können nicht ohne Weiteres verboten werden. Das erscheint selbstverständlich, musste in Deutschland aber im Zuge des Kita-Ausbaus eigens in ein Gesetz gegossen werden.

Das Problem ist nur: Grundlage der Entscheidung in St. Georg war nicht die Frage, wie laut Kinder sein dürfen und wie erwünscht sie sind. Sondern die Frage war dem Gericht zufolge, ob der wohlmeinende Besitzer die Fläche in der Brennerstraße an die Tagesmütter überhaupt vermieten durfte. Laut Nutzungsregelung im Grundbuch durfte er das nicht, stellte das Amtsgericht klar. Demnach dürfen die Räume nur als Laden vermietet werden.

Die Kläger können nur hoffen, dass dann wirklich ein Laden für orthopädisches Schuhwerk in ihr Haus einzieht. Das ist in St. Georg aber unwahrscheinlich. Da gibt es viele Geschäfte, die mehr Lärm machen. Wirklichen Lärm.