Lesezeichen
‹ Alle Einträge
Wo die Dinge ein Ende finden

Maibaums Keller

 

Zuerst war es eine Ratte, dann kam Django hinzu: Ulrich Ladurner betrachtet Hamburg aus ungewöhnlichen Perspektiven, mal erfindet er was, mal nicht, aber immer lässt er sich von grob unterschätzter Wirklichkeit inspirieren. Seine neuen Hamburger Geschichten spielen immer dort, wo Dinge ein Ende finden – ein Weg oder eine Straße, ein Fest oder Ferien, das Leben, die Liebe. In der ersten Folge ging es um Otto von Bismarck und die Wilderer, in dieser um den dicken Herrn Maibaum.

Herr Maibaum war wegen eines körperlichen Gebrechens im Alter von 53 Jahren in Rente gegangen, er starb im Alter von 76 Jahren. Die 23 Jahre dazwischen verbrachte er meist auf dem Sofa liegend vor dem Fernseher. Einmal die Woche wurden ihm zwei Kisten Bier ins Haus geliefert.

keller
Maibaums Keller (c) Ulrich Ladurner

Herr Maibaum war ein ruhiger Mann, er war sehr groß und sehr dick. Angeblich hatte er im Hafen gearbeitet, doch so genau konnte das niemand sagen, denn Herr Maibaum war nicht gerade auskunftsfreudig, auch wenn er durchaus freundlich war. Er hatte keine Frau, keine Kinder und auch keine Freunde, doch das schien ihn nicht zu belasten. Niemals gab es ein Problem mit ihm. Den Kindern des Hauses schenkte er Bonbons, wenn er ihnen im Treppenhaus zufällig begegnete. „Da, nimm!“, das war alles was er sagte. Es war eher ein barsches Brummen. Lief ihm der Hund seines Nachbarn über den Weg, dann brummt er das Tier an: „Ah, Bello! Schon gegessen heute?!“ Dann ging er weiter.

Im Freien war er nur selten zu sehen, so selten, dass es für die Kinder in der Nachbarschaft ein Ereignis war, wenn der Riese Maibaum seinen schweren Körper über den Bürgersteig schob. Irgendjemand hatte das Gerücht in Umlauf gebracht, dass Herr Maibaum in Wahrheit ein Walross sei, das aus dem Tierpark Hagenbeck ausgebrochen sei, und gut getarnt in diesem bürgerlichen Hamburger Viertel eine Bleibe gefunden habe. Ein russisches Walross, wohlgemerkt, irgendwo in den Eiswassern des Nordens geboren und auf verschlungenen Wegen nach Hamburg gebracht. Angeblich sprach Herr Maibaum russisch, gesichert ist das freilich nicht.

Den Fernseher hatte Maibaum immer ziemlich laut gestellt, sodass seine Nachbarn, wenn sie die Ohren spitzten, mitbekamen, was Herr Maibaum sich gerade ansah. Niemand störte sich an der Lautstärke, im Gegenteil. Die Bewohner des Hauses hatten die Fernsehgewohnheiten ihres Nachbarn in ihren Alltag ohne Klagen integriert. Ja, sie machten sich einen Spaß daraus, wenn Herr Maibaum das Geschehen im Fernseher mit deutlich vernehmbaren Worten kommentierte. „Schieß doch! Schieß doch! …. AHHH! IDIOT! DILETTANT ….. Ja, ja, jetzt, jetzt, gib ab, GIB AAABB! …. Nein, nein, nein …. GURKENTRUPPE!“

Herr Maibaum war HSV-Fan und er hatte daher besonders in seinen letzten Lebensjahren viel zu leiden.

Das ist es also, was man sich von Herrn Maibaum erzählte. Er war ein allein stehendes russisches Walross, das aus dem Tierpark Hagenbeck ausgebrochen war und sich zur Tarnung  als HSV-Fan ausgab. Natürlich gab es Menschen, die das für Humbug hielten. Alles erfunden, sagten sie. Doch nach dem Tod von Herrn Maibaum wurden sie eines besseren belehrt.

Es stellte sich nämlich heraus, dass der Keller des Herrn Maibaum völlig leer war. Auf dem Boden fanden sich Wasserflecken, die bei genauerer Betrachtung vom Abdruck eines feuchten Walrosskörpers stammen mussten. Man fand im Keller auch verstreut Barthaare, weiße, lange Barthaare, wie sie russische Walrösser zu tragen pflegen.