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Nikki Lane

Alter Stoff, anbetungswürdig cool vorgetragen

 

Amerikas tätowiertes Country-Darling Nikki Lane stellte ihr zweites Album „All Or Nothin“ in Hamburg vor – und offenbarte im Stage Club Nehmerqualitäten.

Nikki Lane jongliert zwei Tassen Kaffee auf Untertassen Richtung Stage Club-Bühne. Eine für sich selbst, eine für Jonathan Tyler, ihren zweiten Gitarristen und Sänger, der gleichzeitig solo das Vorprogramm bestreitet. Für die letzten beiden Songs, von Tylers hörenswertem Countryrock-Album Holy Smokes, kommt sie dazu, um mitzusingen. Nanu, Kaffee auf der Bühne? Er tut überrascht. Sie erklärt ihm und dem Publikum, das wäre jetzt genau das Richtige, nach der letzten Nacht.

Es wird überhaupt viel Rückschau gehalten an diesem Donnerstagabend im Stage Club. Man glaubt gern, dass es sich die drei Musiker gut gehen lassen auf ihrer abenteuerlichen, großen Europareise. Aus Brüssel haben sie eine schöne Einschätzung über Hamburgs Nachtleben mitgenommen: „Very hot, very sex!“ Whiskey und andere Erfrischungen kommen zur Sprache, speziell Nikki Lane ist da ganz aufgeschlossen: „Ich kann mir nicht helfen, ich sage stets Ja zu dem, was angeboten wird.“ Später revanchiert sich Tyler mit Tequila. Lane stürzt den Shot gänzlich unbeeindruckt, Backgroundsängerin Erika Wolf war zuvor mit Salz und Zitrone behilflich.

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Nightlife-Sirene, die sich in den USA bereits etabliert hat: Nikki Lane. Foto: Glynis Carpenter

Typische Nashville-Nehmerqualitäten also. Seit Hank Williams löscht man Durst wie selbstverständlich mit Schnaps, und schon kommen die traurigsten Geschichten dabei heraus. Auch als Partner kann man dann ein Lied davon singen. Wenn Nikki Lane in Good Man, ihrem vielleicht besten Song auf dem Album All Or Nothin’, mit einem nach Whiskey riechenden Nachtschwärmer klarkommen muss, der gesteht, in der Bar eine fremde Frau geküsst zu haben, weil es dummerweise Gegenstand einer Wette um drei Dollar war, ist abzusehen: Das wird böse enden.


Alter, bekannter Stoff. Aber schon lange nicht mehr so anbetungswürdig cool und inbrünstig vorgetragen wie von der aus South Carolina stammenden, angeblich 32 Jahre alten Nikki Lane. Die ließ sich von Black Keys-Mastermind Dan Auerbach einen fulminanten, geschmackssicheren Gothic-Countrysound verpassen. Traditioneller als das Meiste, was sonst heute aus dem amerikanischen Bible Belt kommt – mindestens im Major-Bereich –, gleichzeitig rau genug für jeden Ryan-Adams-Fan. Loratta Lynn und Wanda Jackson werden vergleichend genannt; mit beiden Ikonen stand Nikki Lane bereits auf der Bühne.

Der Look der langbeinigen Sängerin ist umwerfend. Und gewagt: durchschimmerndes, helles Blouson, weiße, hochhackige Halbschuhe und eine irrwitzig enge High Waist-Blue Jeans, geschätzte Größe 26/34. Auf ihren schwarzen Locken thront ein eleganter cremefarbener Präsidenten-Cowboyhut, Lyndon B. Johnson-Style. Ein Fuchs auf dem Instrument ist die gelernte Modedesignerin nicht, schlichte Begleitakkorde müssen reichen; ungewöhnlicherweise schlägt sie die Saiten häufig von unten nach oben an.

Feinstes Gezupfe und Emmylou-Harris-Wohlklang sind nicht das Thema – ihre Stimme steht im Mittelpunkt: „Ich bin Country-Sängerin, wie Sie vermutlich bemerkt haben“, lässt sie ironisierend wissen. Nicht zu übersehen: Sie kennt große Städte und ihre Ausgehkultur, lebte in Los Angeles und New York, bevor sie nach Nashville zog. In Wirklichkeit aber ist sie eine dem Genre wahrhaft verhaftete Interpretin, die wichtige Liedzeilen derart laut und schneidend hervorhebt, wie es nur die große Tammy Wynette konnte – ein Naturereignis, das so manche PA-Anlage an ihre Grenzen führen dürfte. Erika Wolf steuert fast durchgehend die zweite Stimme bei, mit Jonathan Tyler wird es in Refrains dreistimmig – auch in dieser kleinen Besetzung überzeugen bekannte und auch neue Stücke; das kommende Album haben Lane und Tyler gemeinsam eingespielt.

Als drittletzter von 17 Songs erklingt der Klassiker You Ain’t Goin’ Nowhere in der Byrds-Version. Am 24. Mai wird dessen Urheber Bob Dylan 75 Jahre alt. Nashville, wo 1966 sein Meisterwerk Blonde on Blonde entstand, feiert ihn im altehrwürdigen Ryman Auditorium (früher: Grand Ole Opry). Nikki Lane wird dann mit Emmylou Harris, Wynonna Judd, Boz Scaggs, Charlie McCoy und vielen anderen Stars auftreten. Die wertkonservative „Music City, USA“ würde diese wild tätowierte Nightlife-Sirene nicht einladen, gehörte sie nicht bereits zu den Etablierten.

Weitere Auftritte von Nikki Lane (ohne Jonathan Tyler): 13.5. Berlin, 14.5. Köln, 17.5. Stuttgart, 18.5. München