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Demonstrationen

Randale als Attraktion

 

Warum reisen jetzt schon Berliner Schläger nach Hamburg?

Hamburg ist stolz auf seine steigenden Touristenzahlen. Doch inzwischen zieht es auch eine Reisegruppe in die Stadt, die Anlass zum Nachdenken geben sollte: Jedes Jahr zum 1. Mai rückt eine Truppe Linksautonomer aus Berlin an. Sie kommt aus der Hauptstadt, wo die Gewalt am sogenannten Arbeiterkampftag fast drei Jahrzehnte lang exzessiv begangen wurde, mit Tausenden Verletzten. Heute jedoch ist es fast schon friedlich geworden am 1. Mai in Kreuzberg. »Die Dominanz der Gewalt ist gebrochen«, jubelte der Berliner Innensenator dieses Jahr. Wer Randale sucht, wer sich vermummt mit Polizisten prügeln will, fährt inzwischen nach Hamburg. Weil er weiß, dass er hier »seinen Spaß bekommt«, wie es ein Polizist mit bitterer Ironie formuliert. Ja, Hamburg ist eine schöne Destination geworden für Krawalltouristen.

Was hat die Stadt nur falsch gemacht? Und was machen die Berliner besser?

In Kreuzberg feiern sie am 1. Mai inzwischen ein Volksfest, MyFest genannt, das dieses Jahr hemmungslos überfüllt war – mit Feierlustigen. Zur Revolutionären Demonstration zogen 18 000 Menschen durch die Stadt, fast alle friedlich, nur wenige Dutzend Autonome probten kurz den Aufstand. Sie waren den vielen Tausend unterlegen, die einfach nur feiern wollten. Und den 6500 Polizisten, die auch dieses Jahr ihre Doppelstrategie anwandten: sich möglichst lange zurückhalten, freundlich mit den Menschen sprechen. Und nur eingreifen, wenn eine Straftat in Bildern gerichtsfest dokumentiert ist, dann aber schnell und kompromisslos. Neun Berliner Staatsanwälte legten Sonderschichten ein und sorgten dafür, dass Schläger umgehend vor den Haftrichter kamen. Diese Taktik ist so erfolgreich, dass die Linksradikalen die Lust am 1. Mai in Berlin verlieren.

Und in Hamburg? Ist die Dominanz der Gewalt nicht gebrochen – im Gegenteil. Hier gab es Randale bis in die Nacht, abstoßende Bilder von attackierten Polizisten und derart viele verletzte Beamte wie seit fünf Jahren nicht mehr. Die CDU und die in der Stadt sehr einflussreiche Deutsche Polizeigewerkschaft forderten umgehend ein hartes Vorgehen der Staatsmacht. Dabei kann die Hamburger Polizei kaum noch martialischer auftreten: Wasserwerfer und schweres Räumgerät sind längst im Einsatz, dazu eine Reiterstaffel, die eine Demonstration an der Feldstraße schon nach kurzer Zeit auflöste, als Autonome sich vermummt hatten.

Wer sich mit Polizisten prügeln will, der weiß, dass die Chancen in Hamburg dafür gut stehen. Deshalb waren bei den Randalen nicht nur Linksextreme aus Berlin unterwegs, sondern laut Teilnehmern auch junge Hamburger aus ärmeren Stadtteilen, die einmal ihren Frust ablassen wollten.

Müssen die Beamten also noch härter zupacken? Müssen mehr Reiter und Wasserwerfer auf die Straße? Ist wirklich derjenige ein guter Einsatzleiter, der schon bei kleineren Provokationen seine geballte Streitmacht vorrücken lässt, wie es mancher in Hamburg glaubt?

Der Berliner Weg jedenfalls sieht anders aus. Und er ist erfolgreicher.