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St. Pauli - Würzburg

Abstiegskampf soll gefälligst Spaß machen

 

Mühsam und schleppend: St. Paulis Spiel gegen Würzburg war eines der räudigsten seit Langem. Erst in den letzten Minuten wachte der FC auf – gerade noch rechtzeitig.

Ostereier suchen war schon schwer genug am Sonntagmorgen. Noch besser versteckten sich die Punkte am Nachmittag. Die Folge: Da war er wieder, der Abstiegskampf. 80 Minuten lang mühsamer, ekelhaft schleppender Abstiegskampf.

Wenig gelang auf dem Rasen. Für die Stilmittel, auf die in der Not zurückgegriffen wurde, sind eher die unteren Ligen bekannt – hektisches Stochern und beim Aufbauversuch den Gegner mit dem Ball erschießen. Höhepunkte der ereignisarmen Partie: Außennetztreffer.

Und so entstand tatsächlich etwas mit Seltenheitswert. Auf den Millerntor-Rängen herrschte schlechte Stimmung. Selbst die normalerweise fröhlichsten, motivierendsten und manchmal sogar vortanzenden Vorsänger bekamen miese Laune und pusteten wütend in ihre Megafone. Statt aufmunterndes Klatschen gab es an diesem Ostersonntag, an dem das Stadion feiertagsbedingt eh nur lückenhaft gefüllt war, zum Pausentee die Forderung zum Aufwachen.

Das Gefühl, dass heute nichts gelingen würde, prägte weite Strecken der Partie. Passend dazu hatte die Anzeigetafel ihren Geist bereits zum Spielbeginn aufgegeben. Sie blieb über 90 Minuten komplett schwarz.

Was tun? Dem Beispiel des blau-weiß-schwarzen Vorstadtclubs folgen und Spieler beschimpfen? Endlich den Trainer feuern oder besser gleich den ganzen Vorstand? Schiedsrichter mit Wurfgeschossen … (nein, nein, Bierbecher gehen ins Auge, am Ende muss man noch nach Lübeck zum Heimspiel).

Also doch, wie eigentlich immer auf St. Pauli, alles positiv sehen? Sich in der 80. Minute einreden, dass „ein Punkt gegen Würzburg doch auch schon was wäre – Hauptsache, nicht verlieren“?

Nein! Nicht am Millerntor bei herrlichem Hamburger Aprilwetter. Ergänzend zu Sonne, Regen und Hagel (meistens alles auf einmal) erwachte in den letzten Momenten des Spiels nicht nur das Leben. Mit einem bestialischen Brüllen kündigte, ausgerechnet an Ostern, auch ein lang Vermisster seine Wiederauferstehung an. Der Millerntor-ROAR war wieder da. Plötzlich nur noch Pushen, jeden einzelnen Ballgewinn hysterisch bejubeln. Allen Anwesenden auf den Rängen und über der Grasnarbe wurde plötzlich klar: Ja, wir wollen Abstiegskampf. Und er soll gefälligst Spaß machen.

In Sekundenschnelle waren die einschläfernden Lalala-Lieder eingemottet. Was nicht als Peitsche taugte, wurde nicht intoniert. Genauso dreckig entwickelte sich das Geschehen auf dem Rasen. Foulen, Pöbeln, Siegen lautete die Absichtserklärung. Schönheit kann warten. Haben grad Wichtigeres zu tun.

Tatsächlich sorgte in der 87. Minute Christopher Buchtmann von halb rechts, den Gegenspieler tunnelnd, mit einem satten Schuss ins nahe Eck dafür, dass wir eines der räudigsten Spiele seit Langem noch für uns entschieden. Kaum zappelte die Polyurethankugel in den Maschen, öffnete der Aprilhimmel auf wunderliche Weise seine Schleusen und regnete einen nach Hopfen und Malz riechenden Freudenschauer auf uns herab.

Die verbleibenden drei Minuten plus Nachspielzeit fühlten sich an wie eine Dreiviertelstunde. Wir ertrugen es zitternd – als integralen Bestandteil ungepflegten Abstiegskampfs.

Pünktlich nach dem Abpfiff meldete sich dann auch die Anzeigetafel zurück und präsentierte stolz unser Ergebnis und das der anderen. 14. Tabellenplatz. Wenn das so weitergeht, ist dann der schöne schmutzige Abstiegskampf schon wieder vorbei?

Ein paar Mal können wir den Millerntor-ROAR noch im Keller üben. Und da er nicht nur hilft, wenn man unten steht, bringt er uns, wie alle paar Jahre, bald auch wieder nach oben.